Hinter mir gingen nun Dorf, Gärten und Kirch¬ thürme unter, vor mir neue Dörfer, Schlösser und Berge auf; unter mir Saaten, Büsche und Wiesen bunt vorüberfliegend, über mir unzählige Lerchen in der klaren blauen Luft -- ich schämte mich laut zu schreien, aber innerlichst jauchzte ich und strampelte und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald meine Geige verloren hätte, die ich unterm Arme hielt. Wie aber denn die Sonne immer höher stieg, rings am Horizont schwere weiße Mittagswolken aufstiegen, und alles in der Luft und auf der weiten Fläche so leer und schwül und still wurde über den leise wogen¬ den Kornfeldern, da fiel mir erst wieder mein Dorf ein und mein Vater und unsere Mühle, wie es da so heimlich kühl war an dem schattigen Weiher, und daß nun alles so weit, weit hinter mir lag. Mir war da¬ bei so kurios zu Muthe, als müßt' ich wieder umkeh¬ ren; ich steckte meine Geige zwischen Rock und Weste, setzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin und schlief ein.
Als ich die Augen aufschlug, stand der Wagen still unter hohen Lindenbäumen, hinter denen eine breite Treppe zwischen Säulen in ein prächtiges Schloß führte. Seitwärts durch die Bäume sah ich die Thür¬ me von W. Die Damen waren, wie es schien, längst ausgestiegen, die Pferde abgespannt. Ich erschrack sehr, da ich auf einmal so allein saß, und sprang geschwind in das Schloß hinein, da hörte ich von oben aus dem Fenster lachen.
Hinter mir gingen nun Dorf, Gaͤrten und Kirch¬ thuͤrme unter, vor mir neue Doͤrfer, Schloͤſſer und Berge auf; unter mir Saaten, Buͤſche und Wieſen bunt voruͤberfliegend, uͤber mir unzaͤhlige Lerchen in der klaren blauen Luft — ich ſchaͤmte mich laut zu ſchreien, aber innerlichſt jauchzte ich und ſtrampelte und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald meine Geige verloren haͤtte, die ich unterm Arme hielt. Wie aber denn die Sonne immer hoͤher ſtieg, rings am Horizont ſchwere weiße Mittagswolken aufſtiegen, und alles in der Luft und auf der weiten Flaͤche ſo leer und ſchwuͤl und ſtill wurde uͤber den leiſe wogen¬ den Kornfeldern, da fiel mir erſt wieder mein Dorf ein und mein Vater und unſere Muͤhle, wie es da ſo heimlich kuͤhl war an dem ſchattigen Weiher, und daß nun alles ſo weit, weit hinter mir lag. Mir war da¬ bei ſo kurios zu Muthe, als muͤßt' ich wieder umkeh¬ ren; ich ſteckte meine Geige zwiſchen Rock und Weſte, ſetzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin und ſchlief ein.
Als ich die Augen aufſchlug, ſtand der Wagen ſtill unter hohen Lindenbaͤumen, hinter denen eine breite Treppe zwiſchen Saͤulen in ein praͤchtiges Schloß fuͤhrte. Seitwaͤrts durch die Baͤume ſah ich die Thuͤr¬ me von W. Die Damen waren, wie es ſchien, laͤngſt ausgeſtiegen, die Pferde abgeſpannt. Ich erſchrack ſehr, da ich auf einmal ſo allein ſaß, und ſprang geſchwind in das Schloß hinein, da hoͤrte ich von oben aus dem Fenſter lachen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0016"n="6"/><p>Hinter mir gingen nun Dorf, Gaͤrten und Kirch¬<lb/>
thuͤrme unter, vor mir neue Doͤrfer, Schloͤſſer und<lb/>
Berge auf; unter mir Saaten, Buͤſche und Wieſen<lb/>
bunt voruͤberfliegend, uͤber mir unzaͤhlige Lerchen in<lb/>
der klaren blauen Luft — ich ſchaͤmte mich laut zu<lb/>ſchreien, aber innerlichſt jauchzte ich und ſtrampelte<lb/>
und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald<lb/>
meine Geige verloren haͤtte, die ich unterm Arme hielt.<lb/>
Wie aber denn die Sonne immer hoͤher ſtieg, rings<lb/>
am Horizont ſchwere weiße Mittagswolken aufſtiegen,<lb/>
und alles in der Luft und auf der weiten Flaͤche ſo<lb/>
leer und ſchwuͤl und ſtill wurde uͤber den leiſe wogen¬<lb/>
den Kornfeldern, da fiel mir erſt wieder mein Dorf<lb/>
ein und mein Vater und unſere Muͤhle, wie es da ſo<lb/>
heimlich kuͤhl war an dem ſchattigen Weiher, und daß<lb/>
nun alles ſo weit, weit hinter mir lag. Mir war da¬<lb/>
bei ſo kurios zu Muthe, als muͤßt' ich wieder umkeh¬<lb/>
ren; ich ſteckte meine Geige zwiſchen Rock und Weſte,<lb/>ſetzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin<lb/>
und ſchlief ein.</p><lb/><p>Als ich die Augen aufſchlug, ſtand der Wagen ſtill<lb/>
unter hohen Lindenbaͤumen, hinter denen eine breite<lb/>
Treppe zwiſchen Saͤulen in ein praͤchtiges Schloß<lb/>
fuͤhrte. Seitwaͤrts durch die Baͤume ſah ich die Thuͤr¬<lb/>
me von W. Die Damen waren, wie es ſchien, laͤngſt<lb/>
ausgeſtiegen, die Pferde abgeſpannt. Ich erſchrack ſehr,<lb/>
da ich auf einmal ſo allein ſaß, und ſprang geſchwind<lb/>
in das Schloß hinein, da hoͤrte ich von oben aus dem<lb/>
Fenſter lachen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[6/0016]
Hinter mir gingen nun Dorf, Gaͤrten und Kirch¬
thuͤrme unter, vor mir neue Doͤrfer, Schloͤſſer und
Berge auf; unter mir Saaten, Buͤſche und Wieſen
bunt voruͤberfliegend, uͤber mir unzaͤhlige Lerchen in
der klaren blauen Luft — ich ſchaͤmte mich laut zu
ſchreien, aber innerlichſt jauchzte ich und ſtrampelte
und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald
meine Geige verloren haͤtte, die ich unterm Arme hielt.
Wie aber denn die Sonne immer hoͤher ſtieg, rings
am Horizont ſchwere weiße Mittagswolken aufſtiegen,
und alles in der Luft und auf der weiten Flaͤche ſo
leer und ſchwuͤl und ſtill wurde uͤber den leiſe wogen¬
den Kornfeldern, da fiel mir erſt wieder mein Dorf
ein und mein Vater und unſere Muͤhle, wie es da ſo
heimlich kuͤhl war an dem ſchattigen Weiher, und daß
nun alles ſo weit, weit hinter mir lag. Mir war da¬
bei ſo kurios zu Muthe, als muͤßt' ich wieder umkeh¬
ren; ich ſteckte meine Geige zwiſchen Rock und Weſte,
ſetzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin
und ſchlief ein.
Als ich die Augen aufſchlug, ſtand der Wagen ſtill
unter hohen Lindenbaͤumen, hinter denen eine breite
Treppe zwiſchen Saͤulen in ein praͤchtiges Schloß
fuͤhrte. Seitwaͤrts durch die Baͤume ſah ich die Thuͤr¬
me von W. Die Damen waren, wie es ſchien, laͤngſt
ausgeſtiegen, die Pferde abgeſpannt. Ich erſchrack ſehr,
da ich auf einmal ſo allein ſaß, und ſprang geſchwind
in das Schloß hinein, da hoͤrte ich von oben aus dem
Fenſter lachen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/16>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.