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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

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die Luft streckten, und dabei die Blumenguirlanden mit
beiden Armen hoch über den Köpfen in die Höh' hiel¬
ten. Der Herr Leonhard aber faßte die schöne gnädige
Frau, die noch immer ganz still stand und nur manch¬
mal auf mich herüber blickte, bei der Hand, führte sie
bis zu mir und sagte:

"Die Liebe -- darüber sind nun alle Gelehrten ei¬
nig -- ist eine der kuragiösesten Eigenschaften des
menschlichen Herzens, die Bastionen von Rang und
Stand schmettert sie mit einem Feuerblicke darnieder,
die Welt ist ihr zu eng und die Ewigkeit zu kurz. Ja,
sie ist eigentlich ein Poeten-Mantel, den jeder Phan¬
tast einmal in der kalten Welt umnimmt, um nach Ar¬
kadien auszuwandern. Und je entfernter zwei getrennte
Verliebte von einander wandern, in desto anständigern
Bogen bläst der Reisewind den schillernden Mantel hin¬
ter ihnen auf, desto kühner und überraschender ent¬
wickelt sich der Faltenwurf, desto länger und länger
wächst der Talar den Liebenden hinten nach, so daß
ein Neutraler nicht über Land gehen kann, ohne un¬
versehens auf ein Paar solche Schleppen zu treten.
O theuerster Herr Einnehmer und Bräutigam! obgleich
Ihr in diesem Mantel bis an den Gestaden der Tiber
dahinrauschtet, das kleine Händchen Eurer gegenwärti¬
gen Braut hielt Euch dennoch am äußersten Ende der
Schleppe fest, und wie Ihr zucktet und geigtet und ru¬
mortet, Ihr mußtet zurück in den stillen Bann ihrer
schönen Augen. -- Und nun dann, da es so gekom¬
men ist, Ihr zwei lieben, lieben närrischen Leute!

die Luft ſtreckten, und dabei die Blumenguirlanden mit
beiden Armen hoch uͤber den Koͤpfen in die Hoͤh' hiel¬
ten. Der Herr Leonhard aber faßte die ſchoͤne gnaͤdige
Frau, die noch immer ganz ſtill ſtand und nur manch¬
mal auf mich heruͤber blickte, bei der Hand, fuͤhrte ſie
bis zu mir und ſagte:

„Die Liebe — daruͤber ſind nun alle Gelehrten ei¬
nig — iſt eine der kuragioͤſeſten Eigenſchaften des
menſchlichen Herzens, die Baſtionen von Rang und
Stand ſchmettert ſie mit einem Feuerblicke darnieder,
die Welt iſt ihr zu eng und die Ewigkeit zu kurz. Ja,
ſie iſt eigentlich ein Poeten-Mantel, den jeder Phan¬
taſt einmal in der kalten Welt umnimmt, um nach Ar¬
kadien auszuwandern. Und je entfernter zwei getrennte
Verliebte von einander wandern, in deſto anſtaͤndigern
Bogen blaͤſt der Reiſewind den ſchillernden Mantel hin¬
ter ihnen auf, deſto kuͤhner und uͤberraſchender ent¬
wickelt ſich der Faltenwurf, deſto laͤnger und laͤnger
waͤchſt der Talar den Liebenden hinten nach, ſo daß
ein Neutraler nicht uͤber Land gehen kann, ohne un¬
verſehens auf ein Paar ſolche Schleppen zu treten.
O theuerſter Herr Einnehmer und Braͤutigam! obgleich
Ihr in dieſem Mantel bis an den Geſtaden der Tiber
dahinrauſchtet, das kleine Haͤndchen Eurer gegenwaͤrti¬
gen Braut hielt Euch dennoch am aͤußerſten Ende der
Schleppe feſt, und wie Ihr zucktet und geigtet und ru¬
mortet, Ihr mußtet zuruͤck in den ſtillen Bann ihrer
ſchoͤnen Augen. — Und nun dann, da es ſo gekom¬
men iſt, Ihr zwei lieben, lieben naͤrriſchen Leute!

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[128/0138] die Luft ſtreckten, und dabei die Blumenguirlanden mit beiden Armen hoch uͤber den Koͤpfen in die Hoͤh' hiel¬ ten. Der Herr Leonhard aber faßte die ſchoͤne gnaͤdige Frau, die noch immer ganz ſtill ſtand und nur manch¬ mal auf mich heruͤber blickte, bei der Hand, fuͤhrte ſie bis zu mir und ſagte: „Die Liebe — daruͤber ſind nun alle Gelehrten ei¬ nig — iſt eine der kuragioͤſeſten Eigenſchaften des menſchlichen Herzens, die Baſtionen von Rang und Stand ſchmettert ſie mit einem Feuerblicke darnieder, die Welt iſt ihr zu eng und die Ewigkeit zu kurz. Ja, ſie iſt eigentlich ein Poeten-Mantel, den jeder Phan¬ taſt einmal in der kalten Welt umnimmt, um nach Ar¬ kadien auszuwandern. Und je entfernter zwei getrennte Verliebte von einander wandern, in deſto anſtaͤndigern Bogen blaͤſt der Reiſewind den ſchillernden Mantel hin¬ ter ihnen auf, deſto kuͤhner und uͤberraſchender ent¬ wickelt ſich der Faltenwurf, deſto laͤnger und laͤnger waͤchſt der Talar den Liebenden hinten nach, ſo daß ein Neutraler nicht uͤber Land gehen kann, ohne un¬ verſehens auf ein Paar ſolche Schleppen zu treten. O theuerſter Herr Einnehmer und Braͤutigam! obgleich Ihr in dieſem Mantel bis an den Geſtaden der Tiber dahinrauſchtet, das kleine Haͤndchen Eurer gegenwaͤrti¬ gen Braut hielt Euch dennoch am aͤußerſten Ende der Schleppe feſt, und wie Ihr zucktet und geigtet und ru¬ mortet, Ihr mußtet zuruͤck in den ſtillen Bann ihrer ſchoͤnen Augen. — Und nun dann, da es ſo gekom¬ men iſt, Ihr zwei lieben, lieben naͤrriſchen Leute!

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/138>, abgerufen am 24.11.2024.