eine absonderliche Pike wegen seiner unvernünftigen Reden. Jetzt aber gerieth ich ganz außer mir vor Zorn. Das liederliche Genie ist gewiß wieder betrun¬ ken, dachte ich, den Schlüssel hat er von der Kammer¬ jungfer, und will nun die gnädige Frau beschleichen, verrathen, überfallen. -- Und so stürzte ich durch das kleine, offengebliebene Pförtchen in den Garten hinein.
Als ich eintrat, war es ganz still und einsam darin. Die Flügelthür vom Gartenhause stand offen, ein milch¬ weißer Lichtschein drang daraus hervor, und spielte auf dem Grase und den Blumen vor der Thür. Ich blickte von weitem herein. Da lag in einem prächti¬ gen grünen Gemach, das von einer weißen Lampe nur wenig erhellt war, die schöne gnädige Frau, mit der Guitarre im Arm, auf einem seidenen Faulbettchen, ohne in ihrer Unschuld an die Gefahren draußen zu denken.
Ich hatte aber nicht lange Zeit, hinzusehen, denn ich bemerkte so eben, daß die weiße Gestalt von der andern Seite ganz behutsam hinter den Sträuchern nach dem Gartenhause zuschlich. Dabei sang die gnä¬ dige Frau so kläglich aus dem Hause, daß es mir recht durch Mark und Bein ging. Ich besann mich daher nicht lange, brach einen tüchtigen Ast ab, rannte damit gerade auf den Weißmantel los, und schrie aus vollem Halse "Mordjo!" daß der ganze Garten erzitterte.
Der Maler, wie er mich so unverhofft daherkom¬ men sah, nahm schnell Reißaus, und schrie entsetzlich. Ich schrie noch besser, er lief nach dem Hause zu, ich
eine abſonderliche Pike wegen ſeiner unvernuͤnftigen Reden. Jetzt aber gerieth ich ganz außer mir vor Zorn. Das liederliche Genie iſt gewiß wieder betrun¬ ken, dachte ich, den Schluͤſſel hat er von der Kammer¬ jungfer, und will nun die gnaͤdige Frau beſchleichen, verrathen, uͤberfallen. — Und ſo ſtuͤrzte ich durch das kleine, offengebliebene Pfoͤrtchen in den Garten hinein.
Als ich eintrat, war es ganz ſtill und einſam darin. Die Fluͤgelthuͤr vom Gartenhauſe ſtand offen, ein milch¬ weißer Lichtſchein drang daraus hervor, und ſpielte auf dem Graſe und den Blumen vor der Thuͤr. Ich blickte von weitem herein. Da lag in einem praͤchti¬ gen gruͤnen Gemach, das von einer weißen Lampe nur wenig erhellt war, die ſchoͤne gnaͤdige Frau, mit der Guitarre im Arm, auf einem ſeidenen Faulbettchen, ohne in ihrer Unſchuld an die Gefahren draußen zu denken.
Ich hatte aber nicht lange Zeit, hinzuſehen, denn ich bemerkte ſo eben, daß die weiße Geſtalt von der andern Seite ganz behutſam hinter den Straͤuchern nach dem Gartenhauſe zuſchlich. Dabei ſang die gnaͤ¬ dige Frau ſo klaͤglich aus dem Hauſe, daß es mir recht durch Mark und Bein ging. Ich beſann mich daher nicht lange, brach einen tuͤchtigen Aſt ab, rannte damit gerade auf den Weißmantel los, und ſchrie aus vollem Halſe „Mordjo!“ daß der ganze Garten erzitterte.
Der Maler, wie er mich ſo unverhofft daherkom¬ men ſah, nahm ſchnell Reißaus, und ſchrie entſetzlich. Ich ſchrie noch beſſer, er lief nach dem Hauſe zu, ich
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eine abſonderliche Pike wegen ſeiner unvernuͤnftigen
Reden. Jetzt aber gerieth ich ganz außer mir vor
Zorn. Das liederliche Genie iſt gewiß wieder betrun¬
ken, dachte ich, den Schluͤſſel hat er von der Kammer¬
jungfer, und will nun die gnaͤdige Frau beſchleichen,
verrathen, uͤberfallen. — Und ſo ſtuͤrzte ich durch das
kleine, offengebliebene Pfoͤrtchen in den Garten hinein.
Als ich eintrat, war es ganz ſtill und einſam darin.
Die Fluͤgelthuͤr vom Gartenhauſe ſtand offen, ein milch¬
weißer Lichtſchein drang daraus hervor, und ſpielte auf
dem Graſe und den Blumen vor der Thuͤr. Ich
blickte von weitem herein. Da lag in einem praͤchti¬
gen gruͤnen Gemach, das von einer weißen Lampe nur
wenig erhellt war, die ſchoͤne gnaͤdige Frau, mit der
Guitarre im Arm, auf einem ſeidenen Faulbettchen,
ohne in ihrer Unſchuld an die Gefahren draußen zu
denken.
Ich hatte aber nicht lange Zeit, hinzuſehen, denn
ich bemerkte ſo eben, daß die weiße Geſtalt von der
andern Seite ganz behutſam hinter den Straͤuchern
nach dem Gartenhauſe zuſchlich. Dabei ſang die gnaͤ¬
dige Frau ſo klaͤglich aus dem Hauſe, daß es mir recht
durch Mark und Bein ging. Ich beſann mich daher
nicht lange, brach einen tuͤchtigen Aſt ab, rannte damit
gerade auf den Weißmantel los, und ſchrie aus vollem
Halſe „Mordjo!“ daß der ganze Garten erzitterte.
Der Maler, wie er mich ſo unverhofft daherkom¬
men ſah, nahm ſchnell Reißaus, und ſchrie entſetzlich.
Ich ſchrie noch beſſer, er lief nach dem Hauſe zu, ich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/115>, abgerufen am 17.02.2025.
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