Eichendorff, Joseph von: Die Glücksritter. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 87–159. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Schlesien, "die poetische Schatzkammer für Preußen", wie es einst genannt wurde, hat in Eichendorff der deutschen Nation einen Liederdichter gegeben, der durch das Volkslied "In einem kühlen Grunde", wie Uhland durch den treuen Kameraden und der Wirthin Töchterlein, bis in jene entferntesten Kreise des Volkes gedrungen ist, in welchen kaum noch ein Dichtername genannt wird. Er ist ein Lyriker von unvergänglichem Werthe. Gleich Rousseau's dreitöniger Romanze wiederholen sich die Klänge, über die er verfügt, immer wieder in andern Accorden, so daß sie immer wieder neu das Herz gewinnen. Dabei tragen seine Lieder die Musik in sich selbst, und trotz ihrer künstlerisch reinen und vollendeten Form erscheinen sie als unwillkürlich entstandene Naturproducte, so daß von diesem Dichter in besonderem Sinne das Wort des Sängers gilt: Ich singe, wie der Vogel singt, Der in den Zweigen wohnet. Dieselbe lyrische Natur kehrt in seinen Romanen, Dramen und Novellen wieder. Die Gegensätze des Lebens zerfließen in Bildern und Tönen; indessen fehlt es nicht an Andeutungen der ernsteren Gesinnung des Dichters, der gerne diejenigen seiner Figuren, die er als die bedeutendsten aufstellt, am Ende geistlich werden läßt. Die Gestalten sind bei diesem letzten Romantiker, Schlesien, „die poetische Schatzkammer für Preußen“, wie es einst genannt wurde, hat in Eichendorff der deutschen Nation einen Liederdichter gegeben, der durch das Volkslied „In einem kühlen Grunde“, wie Uhland durch den treuen Kameraden und der Wirthin Töchterlein, bis in jene entferntesten Kreise des Volkes gedrungen ist, in welchen kaum noch ein Dichtername genannt wird. Er ist ein Lyriker von unvergänglichem Werthe. Gleich Rousseau's dreitöniger Romanze wiederholen sich die Klänge, über die er verfügt, immer wieder in andern Accorden, so daß sie immer wieder neu das Herz gewinnen. Dabei tragen seine Lieder die Musik in sich selbst, und trotz ihrer künstlerisch reinen und vollendeten Form erscheinen sie als unwillkürlich entstandene Naturproducte, so daß von diesem Dichter in besonderem Sinne das Wort des Sängers gilt: Ich singe, wie der Vogel singt, Der in den Zweigen wohnet. Dieselbe lyrische Natur kehrt in seinen Romanen, Dramen und Novellen wieder. Die Gegensätze des Lebens zerfließen in Bildern und Tönen; indessen fehlt es nicht an Andeutungen der ernsteren Gesinnung des Dichters, der gerne diejenigen seiner Figuren, die er als die bedeutendsten aufstellt, am Ende geistlich werden läßt. Die Gestalten sind bei diesem letzten Romantiker, <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <pb facs="#f0006"/> <p>Schlesien, „die poetische Schatzkammer für Preußen“, wie es einst genannt wurde, hat in Eichendorff der deutschen Nation einen Liederdichter gegeben, der durch das Volkslied „In einem kühlen Grunde“, wie Uhland durch den treuen Kameraden und der Wirthin Töchterlein, bis in jene entferntesten Kreise des Volkes gedrungen ist, in welchen kaum noch ein Dichtername genannt wird. Er ist ein Lyriker von unvergänglichem Werthe. Gleich Rousseau's dreitöniger Romanze wiederholen sich die Klänge, über die er verfügt, immer wieder in andern Accorden, so daß sie immer wieder neu das Herz gewinnen. Dabei tragen seine Lieder die Musik in sich selbst, und trotz ihrer künstlerisch reinen und vollendeten Form erscheinen sie als unwillkürlich entstandene Naturproducte, so daß von diesem Dichter in besonderem Sinne das Wort des Sängers gilt:</p><lb/> <p>Ich singe, wie der Vogel singt,</p><lb/> <p>Der in den Zweigen wohnet.</p><lb/> <p>Dieselbe lyrische Natur kehrt in seinen Romanen, Dramen und Novellen wieder. Die Gegensätze des Lebens zerfließen in Bildern und Tönen; indessen fehlt es nicht an Andeutungen der ernsteren Gesinnung des Dichters, der gerne diejenigen seiner Figuren, die er als die bedeutendsten aufstellt, am Ende geistlich werden läßt. Die Gestalten sind bei diesem letzten Romantiker,<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
Schlesien, „die poetische Schatzkammer für Preußen“, wie es einst genannt wurde, hat in Eichendorff der deutschen Nation einen Liederdichter gegeben, der durch das Volkslied „In einem kühlen Grunde“, wie Uhland durch den treuen Kameraden und der Wirthin Töchterlein, bis in jene entferntesten Kreise des Volkes gedrungen ist, in welchen kaum noch ein Dichtername genannt wird. Er ist ein Lyriker von unvergänglichem Werthe. Gleich Rousseau's dreitöniger Romanze wiederholen sich die Klänge, über die er verfügt, immer wieder in andern Accorden, so daß sie immer wieder neu das Herz gewinnen. Dabei tragen seine Lieder die Musik in sich selbst, und trotz ihrer künstlerisch reinen und vollendeten Form erscheinen sie als unwillkürlich entstandene Naturproducte, so daß von diesem Dichter in besonderem Sinne das Wort des Sängers gilt:
Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet.
Dieselbe lyrische Natur kehrt in seinen Romanen, Dramen und Novellen wieder. Die Gegensätze des Lebens zerfließen in Bildern und Tönen; indessen fehlt es nicht an Andeutungen der ernsteren Gesinnung des Dichters, der gerne diejenigen seiner Figuren, die er als die bedeutendsten aufstellt, am Ende geistlich werden läßt. Die Gestalten sind bei diesem letzten Romantiker,
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Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Die Glücksritter. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 87–159. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gluecksritter_1910/6>, abgerufen am 16.07.2024. |