Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Der irre Spielmann.
Aus stiller Kindheit unschuldiger Hut
Trieb mich der tolle, frevelnde Muth.
Seit ich da draußen so frei nun bin
Find' ich nicht wieder nach Hause hin.
Durch's Leben jag' ich manch trüg'risch Bild,
Wer ist der Jäger da? wer ist das Wild?
Es pfeift der Wind mir schneidend durchs Haar,
Ach Welt, wie bist Du so kalt und klar!
Du frommes Kindlein im stillen Haus,
Schau' nicht so lüstern zum Fenster hinaus!
Frag mich nicht, Kindlein, woher und wohin?
Weiß ich doch selber nicht wo ich bin!
Von Sünde und Reue zerrissen die Brust,
Wie rasend in verzweifelter Lust,
Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,
Wird doch kein fröhlicher Kranz nicht daraus! --
Ich möcht' in den tiefsten Wald wohl hinein,
Recht aus der Brust den Jammer zu schrei'n,
Ich möchte reiten an's Ende der Welt,
Wo der Mond und die Sonne hinunter fällt.
Wo schwindelnd beginnt die Ewigkeit,
Wie ein Meer, so erschrecklich still und weit,
Da sinken all' Ström' und Segel hinein,
Da wird es wohl endlich auch ruhig sein.
Der irre Spielmann.
Aus ſtiller Kindheit unſchuldiger Hut
Trieb mich der tolle, frevelnde Muth.
Seit ich da draußen ſo frei nun bin
Find' ich nicht wieder nach Hauſe hin.
Durch's Leben jag' ich manch truͤg'riſch Bild,
Wer iſt der Jaͤger da? wer iſt das Wild?
Es pfeift der Wind mir ſchneidend durchs Haar,
Ach Welt, wie biſt Du ſo kalt und klar!
Du frommes Kindlein im ſtillen Haus,
Schau' nicht ſo luͤſtern zum Fenſter hinaus!
Frag mich nicht, Kindlein, woher und wohin?
Weiß ich doch ſelber nicht wo ich bin!
Von Suͤnde und Reue zerriſſen die Bruſt,
Wie raſend in verzweifelter Luſt,
Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,
Wird doch kein froͤhlicher Kranz nicht daraus! —
Ich moͤcht' in den tiefſten Wald wohl hinein,
Recht aus der Bruſt den Jammer zu ſchrei'n,
Ich moͤchte reiten an's Ende der Welt,
Wo der Mond und die Sonne hinunter faͤllt.
Wo ſchwindelnd beginnt die Ewigkeit,
Wie ein Meer, ſo erſchrecklich ſtill und weit,
Da ſinken all' Stroͤm' und Segel hinein,
Da wird es wohl endlich auch ruhig ſein.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0074" n="56"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Der irre Spielmann</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#in">A</hi>us &#x017F;tiller Kindheit un&#x017F;chuldiger Hut</l><lb/>
              <l>Trieb mich der tolle, frevelnde Muth.</l><lb/>
              <l>Seit ich da draußen &#x017F;o frei nun bin</l><lb/>
              <l>Find' ich nicht wieder nach Hau&#x017F;e hin.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Durch's Leben jag' ich manch tru&#x0364;g'ri&#x017F;ch Bild,</l><lb/>
              <l>Wer i&#x017F;t der Ja&#x0364;ger da? wer i&#x017F;t das Wild?</l><lb/>
              <l>Es pfeift der Wind mir &#x017F;chneidend durchs Haar,</l><lb/>
              <l>Ach Welt, wie bi&#x017F;t Du &#x017F;o kalt und klar!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Du frommes Kindlein im &#x017F;tillen Haus,</l><lb/>
              <l>Schau' nicht &#x017F;o lu&#x0364;&#x017F;tern zum Fen&#x017F;ter hinaus!</l><lb/>
              <l>Frag mich nicht, Kindlein, woher und wohin?</l><lb/>
              <l>Weiß ich doch &#x017F;elber nicht wo ich bin!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>Von Su&#x0364;nde und Reue zerri&#x017F;&#x017F;en die Bru&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Wie ra&#x017F;end in verzweifelter Lu&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,</l><lb/>
              <l>Wird doch kein fro&#x0364;hlicher Kranz nicht daraus! &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Ich mo&#x0364;cht' in den tief&#x017F;ten Wald wohl hinein,</l><lb/>
              <l>Recht aus der Bru&#x017F;t den Jammer zu &#x017F;chrei'n,</l><lb/>
              <l>Ich mo&#x0364;chte reiten an's Ende der Welt,</l><lb/>
              <l>Wo der Mond und die Sonne hinunter fa&#x0364;llt.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Wo &#x017F;chwindelnd beginnt die Ewigkeit,</l><lb/>
              <l>Wie ein Meer, &#x017F;o er&#x017F;chrecklich &#x017F;till und weit,</l><lb/>
              <l>Da &#x017F;inken all' Stro&#x0364;m' und Segel hinein,</l><lb/>
              <l>Da wird es wohl endlich auch ruhig &#x017F;ein.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0074] Der irre Spielmann. Aus ſtiller Kindheit unſchuldiger Hut Trieb mich der tolle, frevelnde Muth. Seit ich da draußen ſo frei nun bin Find' ich nicht wieder nach Hauſe hin. Durch's Leben jag' ich manch truͤg'riſch Bild, Wer iſt der Jaͤger da? wer iſt das Wild? Es pfeift der Wind mir ſchneidend durchs Haar, Ach Welt, wie biſt Du ſo kalt und klar! Du frommes Kindlein im ſtillen Haus, Schau' nicht ſo luͤſtern zum Fenſter hinaus! Frag mich nicht, Kindlein, woher und wohin? Weiß ich doch ſelber nicht wo ich bin! Von Suͤnde und Reue zerriſſen die Bruſt, Wie raſend in verzweifelter Luſt, Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß, Wird doch kein froͤhlicher Kranz nicht daraus! — Ich moͤcht' in den tiefſten Wald wohl hinein, Recht aus der Bruſt den Jammer zu ſchrei'n, Ich moͤchte reiten an's Ende der Welt, Wo der Mond und die Sonne hinunter faͤllt. Wo ſchwindelnd beginnt die Ewigkeit, Wie ein Meer, ſo erſchrecklich ſtill und weit, Da ſinken all' Stroͤm' und Segel hinein, Da wird es wohl endlich auch ruhig ſein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/74
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/74>, abgerufen am 22.12.2024.