Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Unbekannte.
Vom Dorfe schon die Abendglocken klangen,
Die müden Vöglein gingen auch zur Ruh,
Nur auf den Wiesen noch die Heimchen sangen
Und von den Bergen rauscht der Wald dazu;
Da kam ein Wandrer durch die Aehrenwogen,
Aus fernen Landen schien er hergezogen.
Vor seinem Hause, unter blüh'nden Lauben
Lud ihn ein Mann zum fröhl'chen Rasten ein,
Die junge Frau bracht' Wein und Brot und Trauben,
Setzt dann, umspielt vom letzten Abendschein,
Sich neben ihn und blickt halb scheu, halb lose,
Ein lockigt Knäblein lächelnd auf dem Schooße.
Ihr dünkt, er wär' schon einst im Dorf gewesen,
Und doch so fremd und seltsam war die Tracht,
In seinen Mienen feur'ge Schrift zu lesen
Gleich Wetterleuchten fern bei stiller Nacht,
Und traf sein Auge sie, wollt' ihr fast grauen,
Denn 's war, wie in den Himmelsgrund zu schauen.
Und wie sich kühler nun die Schatten breiten,
Vom Berg Vesuv, der über Trümmern raucht,
Vom blauen Meer, wo Schwäne singend gleiten,
Krystall'nen Inseln, blühend draus getaucht,
Und Glocken, die im Meeresgrunde schlagen,
Wußt' wunderbar der schöne Gast zu sagen.
Der Unbekannte.
Vom Dorfe ſchon die Abendglocken klangen,
Die muͤden Voͤglein gingen auch zur Ruh,
Nur auf den Wieſen noch die Heimchen ſangen
Und von den Bergen rauſcht der Wald dazu;
Da kam ein Wandrer durch die Aehrenwogen,
Aus fernen Landen ſchien er hergezogen.
Vor ſeinem Hauſe, unter bluͤh'nden Lauben
Lud ihn ein Mann zum froͤhl'chen Raſten ein,
Die junge Frau bracht' Wein und Brot und Trauben,
Setzt dann, umſpielt vom letzten Abendſchein,
Sich neben ihn und blickt halb ſcheu, halb loſe,
Ein lockigt Knaͤblein laͤchelnd auf dem Schooße.
Ihr duͤnkt, er waͤr' ſchon einſt im Dorf geweſen,
Und doch ſo fremd und ſeltſam war die Tracht,
In ſeinen Mienen feur'ge Schrift zu leſen
Gleich Wetterleuchten fern bei ſtiller Nacht,
Und traf ſein Auge ſie, wollt' ihr faſt grauen,
Denn 's war, wie in den Himmelsgrund zu ſchauen.
Und wie ſich kuͤhler nun die Schatten breiten,
Vom Berg Veſuv, der uͤber Truͤmmern raucht,
Vom blauen Meer, wo Schwaͤne ſingend gleiten,
Kryſtall'nen Inſeln, bluͤhend draus getaucht,
Und Glocken, die im Meeresgrunde ſchlagen,
Wußt' wunderbar der ſchoͤne Gaſt zu ſagen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0442" n="424"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Der Unbekannte</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">V</hi>om Dorfe &#x017F;chon die Abendglocken klangen,</l><lb/>
            <l>Die mu&#x0364;den Vo&#x0364;glein gingen auch zur Ruh,</l><lb/>
            <l>Nur auf den Wie&#x017F;en noch die Heimchen &#x017F;angen</l><lb/>
            <l>Und von den Bergen rau&#x017F;cht der Wald dazu;</l><lb/>
            <l>Da kam ein Wandrer durch die Aehrenwogen,</l><lb/>
            <l>Aus fernen Landen &#x017F;chien er hergezogen.</l><lb/>
          </lg>
          <lg type="poem">
            <l>Vor &#x017F;einem Hau&#x017F;e, unter blu&#x0364;h'nden Lauben</l><lb/>
            <l>Lud ihn ein Mann zum fro&#x0364;hl'chen Ra&#x017F;ten ein,</l><lb/>
            <l>Die junge Frau bracht' Wein und Brot und Trauben,</l><lb/>
            <l>Setzt dann, um&#x017F;pielt vom letzten Abend&#x017F;chein,</l><lb/>
            <l>Sich neben ihn und blickt halb &#x017F;cheu, halb lo&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Ein lockigt Kna&#x0364;blein la&#x0364;chelnd auf dem Schooße.</l><lb/>
          </lg>
          <lg type="poem">
            <l>Ihr du&#x0364;nkt, er wa&#x0364;r' &#x017F;chon ein&#x017F;t im Dorf gewe&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Und doch &#x017F;o fremd und &#x017F;elt&#x017F;am war die Tracht,</l><lb/>
            <l>In &#x017F;einen Mienen feur'ge Schrift zu le&#x017F;en</l><lb/>
            <l>Gleich Wetterleuchten fern bei &#x017F;tiller Nacht,</l><lb/>
            <l>Und traf &#x017F;ein Auge &#x017F;ie, wollt' ihr fa&#x017F;t grauen,</l><lb/>
            <l>Denn 's war, wie in den Himmelsgrund zu &#x017F;chauen.</l><lb/>
          </lg>
          <lg type="poem">
            <l>Und wie &#x017F;ich ku&#x0364;hler nun die Schatten breiten,</l><lb/>
            <l>Vom Berg Ve&#x017F;uv, der u&#x0364;ber Tru&#x0364;mmern raucht,</l><lb/>
            <l>Vom blauen Meer, wo Schwa&#x0364;ne &#x017F;ingend gleiten,</l><lb/>
            <l>Kry&#x017F;tall'nen In&#x017F;eln, blu&#x0364;hend draus getaucht,</l><lb/>
            <l>Und Glocken, die im Meeresgrunde &#x017F;chlagen,</l><lb/>
            <l>Wußt' wunderbar der &#x017F;cho&#x0364;ne Ga&#x017F;t zu &#x017F;agen.</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0442] Der Unbekannte. Vom Dorfe ſchon die Abendglocken klangen, Die muͤden Voͤglein gingen auch zur Ruh, Nur auf den Wieſen noch die Heimchen ſangen Und von den Bergen rauſcht der Wald dazu; Da kam ein Wandrer durch die Aehrenwogen, Aus fernen Landen ſchien er hergezogen. Vor ſeinem Hauſe, unter bluͤh'nden Lauben Lud ihn ein Mann zum froͤhl'chen Raſten ein, Die junge Frau bracht' Wein und Brot und Trauben, Setzt dann, umſpielt vom letzten Abendſchein, Sich neben ihn und blickt halb ſcheu, halb loſe, Ein lockigt Knaͤblein laͤchelnd auf dem Schooße. Ihr duͤnkt, er waͤr' ſchon einſt im Dorf geweſen, Und doch ſo fremd und ſeltſam war die Tracht, In ſeinen Mienen feur'ge Schrift zu leſen Gleich Wetterleuchten fern bei ſtiller Nacht, Und traf ſein Auge ſie, wollt' ihr faſt grauen, Denn 's war, wie in den Himmelsgrund zu ſchauen. Und wie ſich kuͤhler nun die Schatten breiten, Vom Berg Veſuv, der uͤber Truͤmmern raucht, Vom blauen Meer, wo Schwaͤne ſingend gleiten, Kryſtall'nen Inſeln, bluͤhend draus getaucht, Und Glocken, die im Meeresgrunde ſchlagen, Wußt' wunderbar der ſchoͤne Gaſt zu ſagen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/442
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/442>, abgerufen am 22.12.2024.