Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Frisch auf! Ich saß am Schreibtisch bleich und krumm,
Es war mir in meinem Kopf ganz dumm Vor Dichten, wie ich alle die Sachen Sollte auf's allerbeste machen. Da guckt am Fenster im Morgenlicht Durch's Weinlaub ein wunderschönes Gesicht, Guckt und lacht, kommt ganz herein Und kramt mir unter den Blättern mein. Ich, ganz verwundert: "Ich sollt' dich kennen" -- Sie aber, statt ihren Namen zu nennen: "Pfui in dem Schlafrock, siehst ja aus Wie ein verfallenes Schilderhaus! Willst du denn hier in der Tinte sitzen, Schau, wie die Felder da draußen blitzen!" So drängt sie mich fort unter Lachen und Streit, Mir that's um die schöne Zeit nur Leid. Drunten aber unter den Bäumen Stand ein Roß mit funkelnden Zäumen. Sie schwang sich lustig mit mir hinauf, Die Sonne draußen ging eben auf, Und eh' ich mich konnte bedenken und fassen, Ritten wir rasch durch die stillen Gassen, Und als wir kamen vor die Stadt, Das Roß auf einmal zwei Flügel hatt', Mir schauerte es recht durch alle Glieder: "Mein Gott, ist's denn schon Frühling wieder?" -- Sie aber wies mir, wie wir so zogen, Die Länder, die unten vorüberflogen, Friſch auf! Ich ſaß am Schreibtiſch bleich und krumm,
Es war mir in meinem Kopf ganz dumm Vor Dichten, wie ich alle die Sachen Sollte auf's allerbeſte machen. Da guckt am Fenſter im Morgenlicht Durch's Weinlaub ein wunderſchoͤnes Geſicht, Guckt und lacht, kommt ganz herein Und kramt mir unter den Blaͤttern mein. Ich, ganz verwundert: „Ich ſollt' dich kennen“ — Sie aber, ſtatt ihren Namen zu nennen: „Pfui in dem Schlafrock, ſiehſt ja aus Wie ein verfallenes Schilderhaus! Willſt du denn hier in der Tinte ſitzen, Schau, wie die Felder da draußen blitzen!“ So draͤngt ſie mich fort unter Lachen und Streit, Mir that's um die ſchoͤne Zeit nur Leid. Drunten aber unter den Baͤumen Stand ein Roß mit funkelnden Zaͤumen. Sie ſchwang ſich luſtig mit mir hinauf, Die Sonne draußen ging eben auf, Und eh' ich mich konnte bedenken und faſſen, Ritten wir raſch durch die ſtillen Gaſſen, Und als wir kamen vor die Stadt, Das Roß auf einmal zwei Fluͤgel hatt', Mir ſchauerte es recht durch alle Glieder: „Mein Gott, iſt's denn ſchon Fruͤhling wieder?“ — Sie aber wies mir, wie wir ſo zogen, Die Laͤnder, die unten voruͤberflogen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0134" n="116"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Friſch auf</hi> <hi rendition="#b">!</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">I</hi>ch ſaß am Schreibtiſch bleich und krumm,</l><lb/> <l>Es war mir in meinem Kopf ganz dumm</l><lb/> <l>Vor Dichten, wie ich alle die Sachen</l><lb/> <l>Sollte auf's allerbeſte machen.</l><lb/> <l>Da guckt am Fenſter im Morgenlicht</l><lb/> <l>Durch's Weinlaub ein wunderſchoͤnes Geſicht,</l><lb/> <l>Guckt und lacht, kommt ganz herein</l><lb/> <l>Und kramt mir unter den Blaͤttern mein.</l><lb/> <l>Ich, ganz verwundert: „Ich ſollt' dich kennen“ —</l><lb/> <l>Sie aber, ſtatt ihren Namen zu nennen:</l><lb/> <l>„Pfui in dem Schlafrock, ſiehſt ja aus</l><lb/> <l>Wie ein verfallenes Schilderhaus!</l><lb/> <l>Willſt du denn hier in der Tinte ſitzen,</l><lb/> <l>Schau, wie die Felder da draußen blitzen!“</l><lb/> <l>So draͤngt ſie mich fort unter Lachen und Streit,</l><lb/> <l>Mir that's um die ſchoͤne Zeit nur Leid.</l><lb/> <l>Drunten aber unter den Baͤumen</l><lb/> <l>Stand ein Roß mit funkelnden Zaͤumen.</l><lb/> <l>Sie ſchwang ſich luſtig mit mir hinauf,</l><lb/> <l>Die Sonne draußen ging eben auf,</l><lb/> <l>Und eh' ich mich konnte bedenken und faſſen,</l><lb/> <l>Ritten wir raſch durch die ſtillen Gaſſen,</l><lb/> <l>Und als wir kamen vor die Stadt,</l><lb/> <l>Das Roß auf einmal zwei Fluͤgel hatt',</l><lb/> <l>Mir ſchauerte es recht durch alle Glieder:</l><lb/> <l>„Mein Gott, iſt's denn ſchon Fruͤhling wieder?“ —</l><lb/> <l>Sie aber wies mir, wie wir ſo zogen,</l><lb/> <l>Die Laͤnder, die unten voruͤberflogen,</l><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0134]
Friſch auf!
Ich ſaß am Schreibtiſch bleich und krumm,
Es war mir in meinem Kopf ganz dumm
Vor Dichten, wie ich alle die Sachen
Sollte auf's allerbeſte machen.
Da guckt am Fenſter im Morgenlicht
Durch's Weinlaub ein wunderſchoͤnes Geſicht,
Guckt und lacht, kommt ganz herein
Und kramt mir unter den Blaͤttern mein.
Ich, ganz verwundert: „Ich ſollt' dich kennen“ —
Sie aber, ſtatt ihren Namen zu nennen:
„Pfui in dem Schlafrock, ſiehſt ja aus
Wie ein verfallenes Schilderhaus!
Willſt du denn hier in der Tinte ſitzen,
Schau, wie die Felder da draußen blitzen!“
So draͤngt ſie mich fort unter Lachen und Streit,
Mir that's um die ſchoͤne Zeit nur Leid.
Drunten aber unter den Baͤumen
Stand ein Roß mit funkelnden Zaͤumen.
Sie ſchwang ſich luſtig mit mir hinauf,
Die Sonne draußen ging eben auf,
Und eh' ich mich konnte bedenken und faſſen,
Ritten wir raſch durch die ſtillen Gaſſen,
Und als wir kamen vor die Stadt,
Das Roß auf einmal zwei Fluͤgel hatt',
Mir ſchauerte es recht durch alle Glieder:
„Mein Gott, iſt's denn ſchon Fruͤhling wieder?“ —
Sie aber wies mir, wie wir ſo zogen,
Die Laͤnder, die unten voruͤberflogen,
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Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/134>, abgerufen am 26.02.2025. |