Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Intermezzo. Der Bürgermeister. Hochweiser Rath, geehrte Kollegen!
Bevor wir uns heut aufs Rathen legen Bitt' ich erst reiflich zu erwägen: Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen, Heut sogleich mit dem Rathen beginnen, Oder ob wir erst proponiren müssen, Was uns versammelt und was wir alle wissen? -- Ich muß pfiichtmäßig voranschicken hierbei, Daß die Art der Geschäfte zweierlei sey: Die einen sind die eiligen, Die andern die langweiligen. Auf jene pfleg' ich Cito zu schreiben, Die andern können liegen bleiben. Die Liegenden aber, geehrte Brüder, Zerfallen in wicht'ge und in höchstwicht'ge wieder. Bei jenen -- nun -- man wird verwegen, Man schreibt nach amtlichem Ueberlegen More solito hier, und dort ad acta, Die Diener rennen, man flucht, verpakt da, Der Staat florirt und bleibt im Takt da. Doch werden die Zeiten so ungeschliffen, Wild umzuspringen mit den Begriffen, Kommt gar, wie heute, ein Fall, der eilig Und doch höchstwichtig zugleich -- dann freilich Muß man von neuem unterscheiden: Ob er mehr eilig oder mehr wichtig. -- Ich bitte, meine Herrn, verstehn sie mich richtig! Intermezzo. Der Buͤrgermeiſter. Hochweiſer Rath, geehrte Kollegen!
Bevor wir uns heut aufs Rathen legen Bitt' ich erſt reiflich zu erwaͤgen: Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen, Heut ſogleich mit dem Rathen beginnen, Oder ob wir erſt proponiren muͤſſen, Was uns verſammelt und was wir alle wiſſen? — Ich muß pfiichtmaͤßig voranſchicken hierbei, Daß die Art der Geſchaͤfte zweierlei ſey: Die einen ſind die eiligen, Die andern die langweiligen. Auf jene pfleg' ich Cito zu ſchreiben, Die andern koͤnnen liegen bleiben. Die Liegenden aber, geehrte Bruͤder, Zerfallen in wicht'ge und in hoͤchſtwicht'ge wieder. Bei jenen — nun — man wird verwegen, Man ſchreibt nach amtlichem Ueberlegen More solito hier, und dort ad acta, Die Diener rennen, man flucht, verpakt da, Der Staat florirt und bleibt im Takt da. Doch werden die Zeiten ſo ungeſchliffen, Wild umzuſpringen mit den Begriffen, Kommt gar, wie heute, ein Fall, der eilig Und doch hoͤchſtwichtig zugleich — dann freilich Muß man von neuem unterſcheiden: Ob er mehr eilig oder mehr wichtig. — Ich bitte, meine Herrn, verſtehn ſie mich richtig! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0110" n="92"/> </div> <div n="2"> <head><hi rendition="#b #g">Intermezzo</hi><hi rendition="#b">.</hi><lb/><hi rendition="#g">Der Buͤrgermeiſter</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">H</hi>ochweiſer Rath, geehrte Kollegen!</l><lb/> <l>Bevor wir uns heut aufs Rathen legen</l><lb/> <l>Bitt' ich erſt reiflich zu erwaͤgen:</l><lb/> <l>Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen,</l><lb/> <l>Heut ſogleich mit dem Rathen beginnen,</l><lb/> <l>Oder ob wir erſt proponiren muͤſſen,</l><lb/> <l>Was uns verſammelt und was wir alle wiſſen? —</l><lb/> <l>Ich muß pfiichtmaͤßig voranſchicken hierbei,</l><lb/> <l>Daß die Art der Geſchaͤfte zweierlei ſey:</l><lb/> <l>Die einen ſind die eiligen,</l><lb/> <l>Die andern die langweiligen.</l><lb/> <l>Auf jene pfleg' ich <hi rendition="#aq">Cito</hi> zu ſchreiben,</l><lb/> <l>Die andern koͤnnen liegen bleiben.</l><lb/> <l>Die Liegenden aber, geehrte Bruͤder,</l><lb/> <l>Zerfallen in wicht'ge und in hoͤchſtwicht'ge wieder.</l><lb/> <l>Bei jenen — nun — man wird verwegen,</l><lb/> <l>Man ſchreibt nach amtlichem Ueberlegen</l><lb/> <l><hi rendition="#aq">More solito</hi> hier, und dort <hi rendition="#aq">ad acta</hi>,</l><lb/> <l>Die Diener rennen, man flucht, verpakt da,</l><lb/> <l>Der Staat florirt und bleibt im Takt da.</l><lb/> <l>Doch werden die Zeiten ſo ungeſchliffen,</l><lb/> <l>Wild umzuſpringen mit den Begriffen,</l><lb/> <l>Kommt gar, wie heute, ein Fall, der eilig</l><lb/> <l>Und doch hoͤchſtwichtig zugleich — dann freilich</l><lb/> <l>Muß man von neuem unterſcheiden:</l><lb/> <l>Ob er mehr eilig oder mehr wichtig. —</l><lb/> <l>Ich bitte, meine Herrn, verſtehn ſie mich richtig!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0110]
Intermezzo.
Der Buͤrgermeiſter.
Hochweiſer Rath, geehrte Kollegen!
Bevor wir uns heut aufs Rathen legen
Bitt' ich erſt reiflich zu erwaͤgen:
Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen,
Heut ſogleich mit dem Rathen beginnen,
Oder ob wir erſt proponiren muͤſſen,
Was uns verſammelt und was wir alle wiſſen? —
Ich muß pfiichtmaͤßig voranſchicken hierbei,
Daß die Art der Geſchaͤfte zweierlei ſey:
Die einen ſind die eiligen,
Die andern die langweiligen.
Auf jene pfleg' ich Cito zu ſchreiben,
Die andern koͤnnen liegen bleiben.
Die Liegenden aber, geehrte Bruͤder,
Zerfallen in wicht'ge und in hoͤchſtwicht'ge wieder.
Bei jenen — nun — man wird verwegen,
Man ſchreibt nach amtlichem Ueberlegen
More solito hier, und dort ad acta,
Die Diener rennen, man flucht, verpakt da,
Der Staat florirt und bleibt im Takt da.
Doch werden die Zeiten ſo ungeſchliffen,
Wild umzuſpringen mit den Begriffen,
Kommt gar, wie heute, ein Fall, der eilig
Und doch hoͤchſtwichtig zugleich — dann freilich
Muß man von neuem unterſcheiden:
Ob er mehr eilig oder mehr wichtig. —
Ich bitte, meine Herrn, verſtehn ſie mich richtig!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |