leicht an Ihnen irre werden. Ich aber weiß es wohl, wie Sie, gleich jenem Herrn, in der Kunst nur das Edlere, das Ideale schätzen. -- Ruprecht, der sich nicht wenig damit wußte, daß er in seiner Jugend die Kantische Philosophie gehört hatte, räusperte und rückte sich so eben wohlgefällig in seinem Stuhle zurecht, als plötzlich die kleine Reiterin herbeisprang, und ihm von hinten den Mund zuhielt. Um Gottes willen, rief sie, fangt nicht wieder von dem langweiligen Zeuge an, ihr guten Leute und schlechten Philosophen! -- Armer Shakspeare! entgegnete der Blasse, mit einem unsäglich verachtenden Blicke. -- O, fiel ihm Kordel¬ chen -- so hieß die Reiterin -- in die Rede, der Ru¬ precht ist ein eingefleischter Shakspeare, hat er sich nicht schon allmählig Bardulphs feurige Nase anstudirt? -- Und in der That, seine stolze Nase leuchtete immer schöner, je trüber das Licht in der Glaskugel zu ver¬ löschen begann. Er begab sich für einen Augenblick der feierlichen Gravität, in die ihn die Erinnerung an seine akademischen Studien versetzt hatte, und, täp¬ pisch Kordelchen zu sich zerrend, rief er: So komm und gieb Deinem Bardulph einen Kuß, du süße Dort¬ chen Lakenreißer! -- Da gab ihm Kordelchen, durch diese unzeitige Vergleichung beleidigt, geschwind eine derbe Ohrfeige, Ruprecht aber sprang zornig auf sie los, während seine nächsten Nachbarn bemüht waren, ihn festzuhalten. Bei der allgemeinen Bewegung war¬
leicht an Ihnen irre werden. Ich aber weiß es wohl, wie Sie, gleich jenem Herrn, in der Kunſt nur das Edlere, das Ideale ſchaͤtzen. — Ruprecht, der ſich nicht wenig damit wußte, daß er in ſeiner Jugend die Kantiſche Philoſophie gehoͤrt hatte, raͤuſperte und ruͤckte ſich ſo eben wohlgefaͤllig in ſeinem Stuhle zurecht, als ploͤtzlich die kleine Reiterin herbeiſprang, und ihm von hinten den Mund zuhielt. Um Gottes willen, rief ſie, fangt nicht wieder von dem langweiligen Zeuge an, ihr guten Leute und ſchlechten Philoſophen! — Armer Shakſpeare! entgegnete der Blaſſe, mit einem unſaͤglich verachtenden Blicke. — O, fiel ihm Kordel¬ chen — ſo hieß die Reiterin — in die Rede, der Ru¬ precht iſt ein eingefleiſchter Shakſpeare, hat er ſich nicht ſchon allmaͤhlig Bardulphs feurige Naſe anſtudirt? — Und in der That, ſeine ſtolze Naſe leuchtete immer ſchoͤner, je truͤber das Licht in der Glaskugel zu ver¬ loͤſchen begann. Er begab ſich fuͤr einen Augenblick der feierlichen Gravitaͤt, in die ihn die Erinnerung an ſeine akademiſchen Studien verſetzt hatte, und, taͤp¬ piſch Kordelchen zu ſich zerrend, rief er: So komm und gieb Deinem Bardulph einen Kuß, du ſuͤße Dort¬ chen Lakenreißer! — Da gab ihm Kordelchen, durch dieſe unzeitige Vergleichung beleidigt, geſchwind eine derbe Ohrfeige, Ruprecht aber ſprang zornig auf ſie los, waͤhrend ſeine naͤchſten Nachbarn bemuͤht waren, ihn feſtzuhalten. Bei der allgemeinen Bewegung war¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0077"n="70"/>
leicht an Ihnen irre werden. Ich aber weiß es wohl,<lb/>
wie Sie, gleich jenem Herrn, in der Kunſt nur das<lb/>
Edlere, das Ideale ſchaͤtzen. — Ruprecht, der ſich<lb/>
nicht wenig damit wußte, daß er in ſeiner Jugend die<lb/>
Kantiſche Philoſophie gehoͤrt hatte, raͤuſperte und ruͤckte<lb/>ſich ſo eben wohlgefaͤllig in ſeinem Stuhle zurecht,<lb/>
als ploͤtzlich die kleine Reiterin herbeiſprang, und ihm<lb/>
von hinten den Mund zuhielt. Um Gottes willen,<lb/>
rief ſie, fangt nicht wieder von dem langweiligen Zeuge<lb/>
an, ihr guten Leute und ſchlechten Philoſophen! —<lb/>
Armer Shakſpeare! entgegnete der Blaſſe, mit einem<lb/>
unſaͤglich verachtenden Blicke. — O, fiel ihm Kordel¬<lb/>
chen —ſo hieß die Reiterin — in die Rede, der Ru¬<lb/>
precht iſt ein eingefleiſchter Shakſpeare, hat er ſich nicht<lb/>ſchon allmaͤhlig Bardulphs feurige Naſe anſtudirt? —<lb/>
Und in der That, ſeine ſtolze Naſe leuchtete immer<lb/>ſchoͤner, je truͤber das Licht in der Glaskugel zu ver¬<lb/>
loͤſchen begann. Er begab ſich fuͤr einen Augenblick<lb/>
der feierlichen Gravitaͤt, in die ihn die Erinnerung an<lb/>ſeine akademiſchen Studien verſetzt hatte, und, taͤp¬<lb/>
piſch Kordelchen zu ſich zerrend, rief er: So komm<lb/>
und gieb Deinem Bardulph einen Kuß, du ſuͤße Dort¬<lb/>
chen Lakenreißer! — Da gab ihm Kordelchen, durch<lb/>
dieſe unzeitige Vergleichung beleidigt, geſchwind eine<lb/>
derbe Ohrfeige, Ruprecht aber ſprang zornig auf ſie<lb/>
los, waͤhrend ſeine naͤchſten Nachbarn bemuͤht waren,<lb/>
ihn feſtzuhalten. Bei der allgemeinen Bewegung war¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[70/0077]
leicht an Ihnen irre werden. Ich aber weiß es wohl,
wie Sie, gleich jenem Herrn, in der Kunſt nur das
Edlere, das Ideale ſchaͤtzen. — Ruprecht, der ſich
nicht wenig damit wußte, daß er in ſeiner Jugend die
Kantiſche Philoſophie gehoͤrt hatte, raͤuſperte und ruͤckte
ſich ſo eben wohlgefaͤllig in ſeinem Stuhle zurecht,
als ploͤtzlich die kleine Reiterin herbeiſprang, und ihm
von hinten den Mund zuhielt. Um Gottes willen,
rief ſie, fangt nicht wieder von dem langweiligen Zeuge
an, ihr guten Leute und ſchlechten Philoſophen! —
Armer Shakſpeare! entgegnete der Blaſſe, mit einem
unſaͤglich verachtenden Blicke. — O, fiel ihm Kordel¬
chen — ſo hieß die Reiterin — in die Rede, der Ru¬
precht iſt ein eingefleiſchter Shakſpeare, hat er ſich nicht
ſchon allmaͤhlig Bardulphs feurige Naſe anſtudirt? —
Und in der That, ſeine ſtolze Naſe leuchtete immer
ſchoͤner, je truͤber das Licht in der Glaskugel zu ver¬
loͤſchen begann. Er begab ſich fuͤr einen Augenblick
der feierlichen Gravitaͤt, in die ihn die Erinnerung an
ſeine akademiſchen Studien verſetzt hatte, und, taͤp¬
piſch Kordelchen zu ſich zerrend, rief er: So komm
und gieb Deinem Bardulph einen Kuß, du ſuͤße Dort¬
chen Lakenreißer! — Da gab ihm Kordelchen, durch
dieſe unzeitige Vergleichung beleidigt, geſchwind eine
derbe Ohrfeige, Ruprecht aber ſprang zornig auf ſie
los, waͤhrend ſeine naͤchſten Nachbarn bemuͤht waren,
ihn feſtzuhalten. Bei der allgemeinen Bewegung war¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/77>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.