bemüht schien, Blüten von den herabhängenden Zwei¬ gen zu streifen.
Unterdeß ging ein frisches Wehen durch die Wi¬ pfel, die letzte Wolkendecke zerriß, und die alte Stadt¬ mauer und die Waldberge darüber standen plötzlich wunderbar beglänzt. Die Dame hatte sich erhoben und unter der Linde vor der Bank eine malerische me¬ lancholisch-heroische Stellung genommen. Das Haupt in die rechte Hand an den Baum gestützt, sah sie eine Zeit lang, wie in Gedanken verloren, nach den Hö¬ hen -- Tiedge! -- sagte sie endlich bedeutungsvoll, und drückte Fortunaten leise die Hand. -- Fortunat, den die ganze wunderliche Wirthschaft dieses Polterabends schon lange innerlichst aufgeregt hatte, sprang rasch auf. O Gott, wahrhaftig! rief er, ihre Hand festhal¬ tend, aus, da schwebt er dahin als ein Veilchenduft, die Sterne scheinen ihm durch den Leib -- o hören Sie nichts? -- nun lispelt er mit jemand, wie ge¬ dämpfte Musik der Sphären, es ist Lafontaine, mit dem er kost, der hat einen Perlen durchwirkten Schlaf¬ rock an, aber die Perlen alle sind Thränen -- sie wan¬ deln mit einander auf der Milchstraße -- aber was ist das! -- Wo? sagte die Dame erschrocken, und ver¬ suchte vergeblich, ihm ihre Hand zu entwinden. -- Sehen Sie die bärtige Wolke dort, fuhr er fort, da kommt ihnen Kotzebue auf einem Ziegenbock entgegen, ach Lafontaine weint, daß ihn der Bock stößt -- o es
bemuͤht ſchien, Bluͤten von den herabhaͤngenden Zwei¬ gen zu ſtreifen.
Unterdeß ging ein friſches Wehen durch die Wi¬ pfel, die letzte Wolkendecke zerriß, und die alte Stadt¬ mauer und die Waldberge daruͤber ſtanden ploͤtzlich wunderbar beglaͤnzt. Die Dame hatte ſich erhoben und unter der Linde vor der Bank eine maleriſche me¬ lancholiſch-heroiſche Stellung genommen. Das Haupt in die rechte Hand an den Baum geſtuͤtzt, ſah ſie eine Zeit lang, wie in Gedanken verloren, nach den Hoͤ¬ hen — Tiedge! — ſagte ſie endlich bedeutungsvoll, und druͤckte Fortunaten leiſe die Hand. — Fortunat, den die ganze wunderliche Wirthſchaft dieſes Polterabends ſchon lange innerlichſt aufgeregt hatte, ſprang raſch auf. O Gott, wahrhaftig! rief er, ihre Hand feſthal¬ tend, aus, da ſchwebt er dahin als ein Veilchenduft, die Sterne ſcheinen ihm durch den Leib — o hoͤren Sie nichts? — nun lispelt er mit jemand, wie ge¬ daͤmpfte Muſik der Sphaͤren, es iſt Lafontaine, mit dem er koſt, der hat einen Perlen durchwirkten Schlaf¬ rock an, aber die Perlen alle ſind Thraͤnen — ſie wan¬ deln mit einander auf der Milchſtraße — aber was iſt das! — Wo? ſagte die Dame erſchrocken, und ver¬ ſuchte vergeblich, ihm ihre Hand zu entwinden. — Sehen Sie die baͤrtige Wolke dort, fuhr er fort, da kommt ihnen Kotzebue auf einem Ziegenbock entgegen, ach Lafontaine weint, daß ihn der Bock ſtoͤßt — o es
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bemuͤht ſchien, Bluͤten von den herabhaͤngenden Zwei¬
gen zu ſtreifen.
Unterdeß ging ein friſches Wehen durch die Wi¬
pfel, die letzte Wolkendecke zerriß, und die alte Stadt¬
mauer und die Waldberge daruͤber ſtanden ploͤtzlich
wunderbar beglaͤnzt. Die Dame hatte ſich erhoben
und unter der Linde vor der Bank eine maleriſche me¬
lancholiſch-heroiſche Stellung genommen. Das Haupt
in die rechte Hand an den Baum geſtuͤtzt, ſah ſie eine
Zeit lang, wie in Gedanken verloren, nach den Hoͤ¬
hen — Tiedge! — ſagte ſie endlich bedeutungsvoll, und
druͤckte Fortunaten leiſe die Hand. — Fortunat, den
die ganze wunderliche Wirthſchaft dieſes Polterabends
ſchon lange innerlichſt aufgeregt hatte, ſprang raſch
auf. O Gott, wahrhaftig! rief er, ihre Hand feſthal¬
tend, aus, da ſchwebt er dahin als ein Veilchenduft,
die Sterne ſcheinen ihm durch den Leib — o hoͤren
Sie nichts? — nun lispelt er mit jemand, wie ge¬
daͤmpfte Muſik der Sphaͤren, es iſt Lafontaine, mit
dem er koſt, der hat einen Perlen durchwirkten Schlaf¬
rock an, aber die Perlen alle ſind Thraͤnen — ſie wan¬
deln mit einander auf der Milchſtraße — aber was
iſt das! — Wo? ſagte die Dame erſchrocken, und ver¬
ſuchte vergeblich, ihm ihre Hand zu entwinden. —
Sehen Sie die baͤrtige Wolke dort, fuhr er fort, da
kommt ihnen Kotzebue auf einem Ziegenbock entgegen,
ach Lafontaine weint, daß ihn der Bock ſtoͤßt — o es
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/73>, abgerufen am 25.11.2024.
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