hen gelernt haben, ehe man sich weiter umsieht, und das Reisen zieme überhaupt nur dem reiferen Alter. -- Fortunaten ärgerte der Schulmeisterton. Gerade um¬ gekehrt, rief er aus, nur die Jugend versteht recht aus Herzensgrunde die Schönheit der Welt mit ihren mor¬ genrothen Gipfeln und kühlen Abgründen und funkeln¬ den Auen im Grün, und malt es alles fresco nach, daß das Alter einst sich daran erfrische, wenn draußen die Blätter fallen und die sinkende Herbstsonne die Schildereien noch einmal wunderbar beleuchtet. Wäh¬ rend dein sogenanntes reifes Alter vom Schifflein sorgsam die Tiefe mit dem Senkblei mißt, sitzt die Jugend über Bord geneigt, und sieht ihr eignes wein¬ bekränztes Haupt in der klaren Fluth und hört die Glocken der versunkenen Stadt aus der Tiefe herauf¬ klingen. Ja, glaubt nur, die Welt ist wie eine eigen¬ sinnige Schöne, die nur in jungen Augen sich mit ihrem fröhlichsten Schmucke spiegeln mag, für Klug¬ heit und Kenntnisse giebt sie nur Brod, für Liebe und rechte Freude an ihr aber wieder Freude und Liebe.
So waren sie vor der Amtmannswohnung ange¬ langt. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten bereits die Bäume vor dem Hause, unter denen die Amtmannin schon wieder den Tisch gedeckt hatte. Ein jeder machte sich's in der Abendkühle be¬ haglich bequem, und Florentine mußte, ausruhend, ihre Burggeschichte nochmals umständlich erzählen.
hen gelernt haben, ehe man ſich weiter umſieht, und das Reiſen zieme uͤberhaupt nur dem reiferen Alter. — Fortunaten aͤrgerte der Schulmeiſterton. Gerade um¬ gekehrt, rief er aus, nur die Jugend verſteht recht aus Herzensgrunde die Schoͤnheit der Welt mit ihren mor¬ genrothen Gipfeln und kuͤhlen Abgruͤnden und funkeln¬ den Auen im Gruͤn, und malt es alles fresco nach, daß das Alter einſt ſich daran erfriſche, wenn draußen die Blaͤtter fallen und die ſinkende Herbſtſonne die Schildereien noch einmal wunderbar beleuchtet. Waͤh¬ rend dein ſogenanntes reifes Alter vom Schifflein ſorgſam die Tiefe mit dem Senkblei mißt, ſitzt die Jugend uͤber Bord geneigt, und ſieht ihr eignes wein¬ bekraͤnztes Haupt in der klaren Fluth und hoͤrt die Glocken der verſunkenen Stadt aus der Tiefe herauf¬ klingen. Ja, glaubt nur, die Welt iſt wie eine eigen¬ ſinnige Schoͤne, die nur in jungen Augen ſich mit ihrem froͤhlichſten Schmucke ſpiegeln mag, fuͤr Klug¬ heit und Kenntniſſe giebt ſie nur Brod, fuͤr Liebe und rechte Freude an ihr aber wieder Freude und Liebe.
So waren ſie vor der Amtmannswohnung ange¬ langt. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten bereits die Baͤume vor dem Hauſe, unter denen die Amtmannin ſchon wieder den Tiſch gedeckt hatte. Ein jeder machte ſich's in der Abendkuͤhle be¬ haglich bequem, und Florentine mußte, ausruhend, ihre Burggeſchichte nochmals umſtaͤndlich erzaͤhlen.
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hen gelernt haben, ehe man ſich weiter umſieht, und
das Reiſen zieme uͤberhaupt nur dem reiferen Alter. —
Fortunaten aͤrgerte der Schulmeiſterton. Gerade um¬
gekehrt, rief er aus, nur die Jugend verſteht recht aus
Herzensgrunde die Schoͤnheit der Welt mit ihren mor¬
genrothen Gipfeln und kuͤhlen Abgruͤnden und funkeln¬
den Auen im Gruͤn, und malt es alles fresco nach,
daß das Alter einſt ſich daran erfriſche, wenn draußen
die Blaͤtter fallen und die ſinkende Herbſtſonne die
Schildereien noch einmal wunderbar beleuchtet. Waͤh¬
rend dein ſogenanntes reifes Alter vom Schifflein
ſorgſam die Tiefe mit dem Senkblei mißt, ſitzt die
Jugend uͤber Bord geneigt, und ſieht ihr eignes wein¬
bekraͤnztes Haupt in der klaren Fluth und hoͤrt die
Glocken der verſunkenen Stadt aus der Tiefe herauf¬
klingen. Ja, glaubt nur, die Welt iſt wie eine eigen¬
ſinnige Schoͤne, die nur in jungen Augen ſich mit
ihrem froͤhlichſten Schmucke ſpiegeln mag, fuͤr Klug¬
heit und Kenntniſſe giebt ſie nur Brod, fuͤr Liebe und
rechte Freude an ihr aber wieder Freude und Liebe.
So waren ſie vor der Amtmannswohnung ange¬
langt. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne
vergoldeten bereits die Baͤume vor dem Hauſe, unter
denen die Amtmannin ſchon wieder den Tiſch gedeckt
hatte. Ein jeder machte ſich's in der Abendkuͤhle be¬
haglich bequem, und Florentine mußte, ausruhend,
ihre Burggeſchichte nochmals umſtaͤndlich erzaͤhlen.
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/62>, abgerufen am 22.11.2024.
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