ihn auf das Gefährliche eines Pfades aufmerksam zu machen, der einsam über die Köpfe der anderen Men¬ schen weggeht, und immer nur für sehr wenige be¬ stimmt scheint. -- Fortunat war über diese Worte ernst und nachsinnend geworden. Du ehrliche Seele! sagte er endlich, dem Freunde herzlich die Hand schüt¬ telnd, so versuche dich denn an ihm. Ist der junge Mensch ein halber Philister, so hilf ihm völlig aus dem tollen Poetenmantel heraus, und ist es rechter Ernst mit feinem Talent, so muß er ja doch wei¬ ter, und rennt dich über, wärst du auch der weise Salomo selber.
Alle vor dem Hause waren durch den Vorfall ge¬ stört, die kleine Gesellschaft sah stumm und kopfhän¬ gend auf die Teller. Draußen über den Thälern war es indeß schon stiller und dunkler geworden, nur in weiter Ferne sah man zuweilen leichte Blitze über den Bergen schweifen. Die Amtmannin blickte mit heim¬ licher Besorgniß, wie es schien, bald in das Wetter¬ leuchten, bald nach der Richtung hin, wo Otto verschwunden war, und ging dann, ohne ein Wort zu sagen, in das Haus hinein. Endlich brach der Amtmann ärgerlich die unheimliche Stille. Es geht auch alles confus jetzt, sagte er zu Fortunat, im Frühling Gewitter, im Sommer kalt, in der Jugend alt und im Alter närrisch! Glauben Sie mir, unsere ganze Zeit jetzt ist gerade wie dieses verrückte Früh¬
ihn auf das Gefaͤhrliche eines Pfades aufmerkſam zu machen, der einſam uͤber die Koͤpfe der anderen Men¬ ſchen weggeht, und immer nur fuͤr ſehr wenige be¬ ſtimmt ſcheint. — Fortunat war uͤber dieſe Worte ernſt und nachſinnend geworden. Du ehrliche Seele! ſagte er endlich, dem Freunde herzlich die Hand ſchuͤt¬ telnd, ſo verſuche dich denn an ihm. Iſt der junge Menſch ein halber Philiſter, ſo hilf ihm voͤllig aus dem tollen Poetenmantel heraus, und iſt es rechter Ernſt mit feinem Talent, ſo muß er ja doch wei¬ ter, und rennt dich uͤber, waͤrſt du auch der weiſe Salomo ſelber.
Alle vor dem Hauſe waren durch den Vorfall ge¬ ſtoͤrt, die kleine Geſellſchaft ſah ſtumm und kopfhaͤn¬ gend auf die Teller. Draußen uͤber den Thaͤlern war es indeß ſchon ſtiller und dunkler geworden, nur in weiter Ferne ſah man zuweilen leichte Blitze uͤber den Bergen ſchweifen. Die Amtmannin blickte mit heim¬ licher Beſorgniß, wie es ſchien, bald in das Wetter¬ leuchten, bald nach der Richtung hin, wo Otto verſchwunden war, und ging dann, ohne ein Wort zu ſagen, in das Haus hinein. Endlich brach der Amtmann aͤrgerlich die unheimliche Stille. Es geht auch alles confus jetzt, ſagte er zu Fortunat, im Fruͤhling Gewitter, im Sommer kalt, in der Jugend alt und im Alter naͤrriſch! Glauben Sie mir, unſere ganze Zeit jetzt iſt gerade wie dieſes verruͤckte Fruͤh¬
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ihn auf das Gefaͤhrliche eines Pfades aufmerkſam zu
machen, der einſam uͤber die Koͤpfe der anderen Men¬
ſchen weggeht, und immer nur fuͤr ſehr wenige be¬
ſtimmt ſcheint. — Fortunat war uͤber dieſe Worte
ernſt und nachſinnend geworden. Du ehrliche Seele!
ſagte er endlich, dem Freunde herzlich die Hand ſchuͤt¬
telnd, ſo verſuche dich denn an ihm. Iſt der junge
Menſch ein halber Philiſter, ſo hilf ihm voͤllig aus
dem tollen Poetenmantel heraus, und iſt es rechter
Ernſt mit feinem Talent, ſo muß er ja doch wei¬
ter, und rennt dich uͤber, waͤrſt du auch der weiſe
Salomo ſelber.
Alle vor dem Hauſe waren durch den Vorfall ge¬
ſtoͤrt, die kleine Geſellſchaft ſah ſtumm und kopfhaͤn¬
gend auf die Teller. Draußen uͤber den Thaͤlern war
es indeß ſchon ſtiller und dunkler geworden, nur in
weiter Ferne ſah man zuweilen leichte Blitze uͤber den
Bergen ſchweifen. Die Amtmannin blickte mit heim¬
licher Beſorgniß, wie es ſchien, bald in das Wetter¬
leuchten, bald nach der Richtung hin, wo Otto
verſchwunden war, und ging dann, ohne ein
Wort zu ſagen, in das Haus hinein. Endlich brach
der Amtmann aͤrgerlich die unheimliche Stille. Es
geht auch alles confus jetzt, ſagte er zu Fortunat, im
Fruͤhling Gewitter, im Sommer kalt, in der Jugend
alt und im Alter naͤrriſch! Glauben Sie mir, unſere
ganze Zeit jetzt iſt gerade wie dieſes verruͤckte Fruͤh¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/53>, abgerufen am 22.11.2024.
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