Schalle, und da sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute -- denn ich bin der verliebte Kasperl, und du die Waldkönigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬ terweibchen!
So schloß Fortunat und küßte herzlich Fiametten auf die verschlafenen Augen. Da stieß sie ihn leise an und wies in das Land hinaus. Ein leiser Schim¬ mer flog über die Gegend, wie wenn ein Kind im Traum lächelt, eine früherwachte Lerche hing schon liedertrunken über ihnen hoch in der Dämmerung. Grüß dich Gott, du schöne, wunderbare Welt! rief Fortunat, jetzt frisch an's Werk! -- Sie schüttelten sich schauernd in der Morgenkühle, er sprang schnell vom Baum, Fiametta folgte, er fing sie unten in seine Arme auf. Dann gingen sie schweigend mit einander durch den dämmernden Garten.
Fortunat hatte sich schon im voraus alles klug ausgesonnen. Fiametta sollte für's Erste sich in der Nähe der Amtmannswohnung noch im Grün verbor¬ gen halten, er selber wollte unterdeß in der Morgen¬ luft wie ein Falk das Haus umkreisen und auf Wal¬ tern, den er als einen frühen Vogel kannte, wo er sich blicken ließe, sogleich niederstoßen, um mit ihm das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬ kämen.
Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Als sie so unter den feierlich rauschenden Wipfeln des Buch¬
Schalle, und da ſie nicht geſtorben ſind, ſo leben ſie noch heute — denn ich bin der verliebte Kaſperl, und du die Waldkoͤnigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬ terweibchen!
So ſchloß Fortunat und kuͤßte herzlich Fiametten auf die verſchlafenen Augen. Da ſtieß ſie ihn leiſe an und wies in das Land hinaus. Ein leiſer Schim¬ mer flog uͤber die Gegend, wie wenn ein Kind im Traum laͤchelt, eine fruͤherwachte Lerche hing ſchon liedertrunken uͤber ihnen hoch in der Daͤmmerung. Gruͤß dich Gott, du ſchoͤne, wunderbare Welt! rief Fortunat, jetzt friſch an's Werk! — Sie ſchuͤttelten ſich ſchauernd in der Morgenkuͤhle, er ſprang ſchnell vom Baum, Fiametta folgte, er fing ſie unten in ſeine Arme auf. Dann gingen ſie ſchweigend mit einander durch den daͤmmernden Garten.
Fortunat hatte ſich ſchon im voraus alles klug ausgeſonnen. Fiametta ſollte fuͤr's Erſte ſich in der Naͤhe der Amtmannswohnung noch im Gruͤn verbor¬ gen halten, er ſelber wollte unterdeß in der Morgen¬ luft wie ein Falk das Haus umkreiſen und auf Wal¬ tern, den er als einen fruͤhen Vogel kannte, wo er ſich blicken ließe, ſogleich niederſtoßen, um mit ihm das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬ kaͤmen.
Aber der Menſch denkt und Gott lenkt. Als ſie ſo unter den feierlich rauſchenden Wipfeln des Buch¬
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Schalle, und da ſie nicht geſtorben ſind, ſo leben ſie
noch heute — denn ich bin der verliebte Kaſperl, und
du die Waldkoͤnigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬
terweibchen!
So ſchloß Fortunat und kuͤßte herzlich Fiametten
auf die verſchlafenen Augen. Da ſtieß ſie ihn leiſe
an und wies in das Land hinaus. Ein leiſer Schim¬
mer flog uͤber die Gegend, wie wenn ein Kind im
Traum laͤchelt, eine fruͤherwachte Lerche hing ſchon
liedertrunken uͤber ihnen hoch in der Daͤmmerung.
Gruͤß dich Gott, du ſchoͤne, wunderbare Welt! rief
Fortunat, jetzt friſch an's Werk! — Sie ſchuͤttelten
ſich ſchauernd in der Morgenkuͤhle, er ſprang ſchnell
vom Baum, Fiametta folgte, er fing ſie unten in ſeine
Arme auf. Dann gingen ſie ſchweigend mit einander
durch den daͤmmernden Garten.
Fortunat hatte ſich ſchon im voraus alles klug
ausgeſonnen. Fiametta ſollte fuͤr's Erſte ſich in der
Naͤhe der Amtmannswohnung noch im Gruͤn verbor¬
gen halten, er ſelber wollte unterdeß in der Morgen¬
luft wie ein Falk das Haus umkreiſen und auf Wal¬
tern, den er als einen fruͤhen Vogel kannte, wo er
ſich blicken ließe, ſogleich niederſtoßen, um mit ihm
das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬
kaͤmen.
Aber der Menſch denkt und Gott lenkt. Als ſie
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/343>, abgerufen am 22.11.2024.
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