Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Schalle, und da sie nicht gestorben sind, so leben sie
noch heute -- denn ich bin der verliebte Kasperl, und
du die Waldkönigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬
terweibchen!

So schloß Fortunat und küßte herzlich Fiametten
auf die verschlafenen Augen. Da stieß sie ihn leise
an und wies in das Land hinaus. Ein leiser Schim¬
mer flog über die Gegend, wie wenn ein Kind im
Traum lächelt, eine früherwachte Lerche hing schon
liedertrunken über ihnen hoch in der Dämmerung.
Grüß dich Gott, du schöne, wunderbare Welt! rief
Fortunat, jetzt frisch an's Werk! -- Sie schüttelten
sich schauernd in der Morgenkühle, er sprang schnell
vom Baum, Fiametta folgte, er fing sie unten in seine
Arme auf. Dann gingen sie schweigend mit einander
durch den dämmernden Garten.

Fortunat hatte sich schon im voraus alles klug
ausgesonnen. Fiametta sollte für's Erste sich in der
Nähe der Amtmannswohnung noch im Grün verbor¬
gen halten, er selber wollte unterdeß in der Morgen¬
luft wie ein Falk das Haus umkreisen und auf Wal¬
tern, den er als einen frühen Vogel kannte, wo er
sich blicken ließe, sogleich niederstoßen, um mit ihm
das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬
kämen.

Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Als sie
so unter den feierlich rauschenden Wipfeln des Buch¬

Schalle, und da ſie nicht geſtorben ſind, ſo leben ſie
noch heute — denn ich bin der verliebte Kaſperl, und
du die Waldkoͤnigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬
terweibchen!

So ſchloß Fortunat und kuͤßte herzlich Fiametten
auf die verſchlafenen Augen. Da ſtieß ſie ihn leiſe
an und wies in das Land hinaus. Ein leiſer Schim¬
mer flog uͤber die Gegend, wie wenn ein Kind im
Traum laͤchelt, eine fruͤherwachte Lerche hing ſchon
liedertrunken uͤber ihnen hoch in der Daͤmmerung.
Gruͤß dich Gott, du ſchoͤne, wunderbare Welt! rief
Fortunat, jetzt friſch an's Werk! — Sie ſchuͤttelten
ſich ſchauernd in der Morgenkuͤhle, er ſprang ſchnell
vom Baum, Fiametta folgte, er fing ſie unten in ſeine
Arme auf. Dann gingen ſie ſchweigend mit einander
durch den daͤmmernden Garten.

Fortunat hatte ſich ſchon im voraus alles klug
ausgeſonnen. Fiametta ſollte fuͤr's Erſte ſich in der
Naͤhe der Amtmannswohnung noch im Gruͤn verbor¬
gen halten, er ſelber wollte unterdeß in der Morgen¬
luft wie ein Falk das Haus umkreiſen und auf Wal¬
tern, den er als einen fruͤhen Vogel kannte, wo er
ſich blicken ließe, ſogleich niederſtoßen, um mit ihm
das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬
kaͤmen.

Aber der Menſch denkt und Gott lenkt. Als ſie
ſo unter den feierlich rauſchenden Wipfeln des Buch¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0343" n="336"/>
Schalle, und da &#x017F;ie nicht ge&#x017F;torben &#x017F;ind, &#x017F;o leben &#x017F;ie<lb/>
noch heute &#x2014; denn ich bin der verliebte Ka&#x017F;perl, und<lb/>
du die Waldko&#x0364;nigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬<lb/>
terweibchen!</p><lb/>
          <p>So &#x017F;chloß Fortunat und ku&#x0364;ßte herzlich Fiametten<lb/>
auf die ver&#x017F;chlafenen Augen. Da &#x017F;tieß &#x017F;ie ihn lei&#x017F;e<lb/>
an und wies in das Land hinaus. Ein lei&#x017F;er Schim¬<lb/>
mer flog u&#x0364;ber die Gegend, wie wenn ein Kind im<lb/>
Traum la&#x0364;chelt, eine fru&#x0364;herwachte Lerche hing &#x017F;chon<lb/>
liedertrunken u&#x0364;ber ihnen hoch in der Da&#x0364;mmerung.<lb/>
Gru&#x0364;ß dich Gott, du &#x017F;cho&#x0364;ne, wunderbare Welt! rief<lb/>
Fortunat, jetzt fri&#x017F;ch an's Werk! &#x2014; Sie &#x017F;chu&#x0364;ttelten<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;chauernd in der Morgenku&#x0364;hle, er &#x017F;prang &#x017F;chnell<lb/>
vom Baum, Fiametta folgte, er fing &#x017F;ie unten in &#x017F;eine<lb/>
Arme auf. Dann gingen &#x017F;ie &#x017F;chweigend mit einander<lb/>
durch den da&#x0364;mmernden Garten.</p><lb/>
          <p>Fortunat hatte &#x017F;ich &#x017F;chon im voraus alles klug<lb/>
ausge&#x017F;onnen. Fiametta &#x017F;ollte fu&#x0364;r's Er&#x017F;te &#x017F;ich in der<lb/>
Na&#x0364;he der Amtmannswohnung noch im Gru&#x0364;n verbor¬<lb/>
gen halten, er &#x017F;elber wollte unterdeß in der Morgen¬<lb/>
luft wie ein Falk das Haus umkrei&#x017F;en und auf Wal¬<lb/>
tern, den er als einen fru&#x0364;hen Vogel kannte, wo er<lb/>
&#x017F;ich blicken ließe, &#x017F;ogleich nieder&#x017F;toßen, um mit ihm<lb/>
das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬<lb/>
ka&#x0364;men.</p><lb/>
          <p>Aber der Men&#x017F;ch denkt und Gott lenkt. Als &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;o unter den feierlich rau&#x017F;chenden Wipfeln des Buch¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0343] Schalle, und da ſie nicht geſtorben ſind, ſo leben ſie noch heute — denn ich bin der verliebte Kaſperl, und du die Waldkoͤnigin Aurora, mein liebes, liebes Dich¬ terweibchen! So ſchloß Fortunat und kuͤßte herzlich Fiametten auf die verſchlafenen Augen. Da ſtieß ſie ihn leiſe an und wies in das Land hinaus. Ein leiſer Schim¬ mer flog uͤber die Gegend, wie wenn ein Kind im Traum laͤchelt, eine fruͤherwachte Lerche hing ſchon liedertrunken uͤber ihnen hoch in der Daͤmmerung. Gruͤß dich Gott, du ſchoͤne, wunderbare Welt! rief Fortunat, jetzt friſch an's Werk! — Sie ſchuͤttelten ſich ſchauernd in der Morgenkuͤhle, er ſprang ſchnell vom Baum, Fiametta folgte, er fing ſie unten in ſeine Arme auf. Dann gingen ſie ſchweigend mit einander durch den daͤmmernden Garten. Fortunat hatte ſich ſchon im voraus alles klug ausgeſonnen. Fiametta ſollte fuͤr's Erſte ſich in der Naͤhe der Amtmannswohnung noch im Gruͤn verbor¬ gen halten, er ſelber wollte unterdeß in der Morgen¬ luft wie ein Falk das Haus umkreiſen und auf Wal¬ tern, den er als einen fruͤhen Vogel kannte, wo er ſich blicken ließe, ſogleich niederſtoßen, um mit ihm das Weitere zu verabreden, bevor die Andern dazu¬ kaͤmen. Aber der Menſch denkt und Gott lenkt. Als ſie ſo unter den feierlich rauſchenden Wipfeln des Buch¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/343
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/343>, abgerufen am 22.11.2024.