allein da unten. Fortunat bemerkte es endlich, er reichte ihr die Hand, sie stieg schnell auf die Bank, die unter dem Baume stand, und schwang sich so lachend mit hinauf. Dort setzten sie sich nun zusam¬ men in dem dämmernden Laube bequem zwischen die Aeste zurecht, vor ihnen schossen Sternschnuppen über das Land, manchmal bellte ein Hund fern in den Dörfern, Fiametta baumelte, in Erwartung der Dinge, zufrieden mit den Beinchen. Nun erzähle was, sagte sie. Und Fortunat besann sich nicht lange, die alte phantastische Nacht flüsterte verworren durch die Zweige, er fing sogleich aus dem Stegreif an, als spräch' er im Traum:
Es waren einmal zwei Kinder, Kasperl und An¬ nerl, die hatten einander sehr lieb. Die saßen einmal vor dem Hause und besahen schöne Bilder in einem großen Bilderbuch, das die Annerl mitgebracht hatte, die Vögel sangen im Walde, und das Abendroth ging über die Berge vor ihnen. Auf dem Bilde war eine sehr schöne Gegend zu sehen, fruchtbare Auen, Flüsse, Dörfer und Schlösser, dahinter ein wunderbar gezack¬ tes Gebirg mit einsamen Kapellen und Wäldern, an deren Saum eine Prozession mit bunten Fahnen da¬ hinzog. Das Abendroth schien über das Bild, und wie sie es so mit rechtem Fleiß betrachteten, da fingen auf einmal die gemalten Bäume an leise zu rauschen, schöne bunte Vögel flogen über die Landschaft, die
allein da unten. Fortunat bemerkte es endlich, er reichte ihr die Hand, ſie ſtieg ſchnell auf die Bank, die unter dem Baume ſtand, und ſchwang ſich ſo lachend mit hinauf. Dort ſetzten ſie ſich nun zuſam¬ men in dem daͤmmernden Laube bequem zwiſchen die Aeſte zurecht, vor ihnen ſchoſſen Sternſchnuppen uͤber das Land, manchmal bellte ein Hund fern in den Doͤrfern, Fiametta baumelte, in Erwartung der Dinge, zufrieden mit den Beinchen. Nun erzaͤhle was, ſagte ſie. Und Fortunat beſann ſich nicht lange, die alte phantaſtiſche Nacht fluͤſterte verworren durch die Zweige, er fing ſogleich aus dem Stegreif an, als ſpraͤch' er im Traum:
Es waren einmal zwei Kinder, Kasperl und An¬ nerl, die hatten einander ſehr lieb. Die ſaßen einmal vor dem Hauſe und beſahen ſchoͤne Bilder in einem großen Bilderbuch, das die Annerl mitgebracht hatte, die Voͤgel ſangen im Walde, und das Abendroth ging uͤber die Berge vor ihnen. Auf dem Bilde war eine ſehr ſchoͤne Gegend zu ſehen, fruchtbare Auen, Fluͤſſe, Doͤrfer und Schloͤſſer, dahinter ein wunderbar gezack¬ tes Gebirg mit einſamen Kapellen und Waͤldern, an deren Saum eine Prozeſſion mit bunten Fahnen da¬ hinzog. Das Abendroth ſchien uͤber das Bild, und wie ſie es ſo mit rechtem Fleiß betrachteten, da fingen auf einmal die gemalten Baͤume an leiſe zu rauſchen, ſchoͤne bunte Voͤgel flogen uͤber die Landſchaft, die
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allein da unten. Fortunat bemerkte es endlich, er
reichte ihr die Hand, ſie ſtieg ſchnell auf die Bank,
die unter dem Baume ſtand, und ſchwang ſich ſo
lachend mit hinauf. Dort ſetzten ſie ſich nun zuſam¬
men in dem daͤmmernden Laube bequem zwiſchen die
Aeſte zurecht, vor ihnen ſchoſſen Sternſchnuppen uͤber
das Land, manchmal bellte ein Hund fern in den
Doͤrfern, Fiametta baumelte, in Erwartung der Dinge,
zufrieden mit den Beinchen. Nun erzaͤhle was, ſagte
ſie. Und Fortunat beſann ſich nicht lange, die alte
phantaſtiſche Nacht fluͤſterte verworren durch die Zweige,
er fing ſogleich aus dem Stegreif an, als ſpraͤch' er
im Traum:
Es waren einmal zwei Kinder, Kasperl und An¬
nerl, die hatten einander ſehr lieb. Die ſaßen einmal
vor dem Hauſe und beſahen ſchoͤne Bilder in einem
großen Bilderbuch, das die Annerl mitgebracht hatte,
die Voͤgel ſangen im Walde, und das Abendroth ging
uͤber die Berge vor ihnen. Auf dem Bilde war eine
ſehr ſchoͤne Gegend zu ſehen, fruchtbare Auen, Fluͤſſe,
Doͤrfer und Schloͤſſer, dahinter ein wunderbar gezack¬
tes Gebirg mit einſamen Kapellen und Waͤldern, an
deren Saum eine Prozeſſion mit bunten Fahnen da¬
hinzog. Das Abendroth ſchien uͤber das Bild, und
wie ſie es ſo mit rechtem Fleiß betrachteten, da fingen
auf einmal die gemalten Baͤume an leiſe zu rauſchen,
ſchoͤne bunte Voͤgel flogen uͤber die Landſchaft, die
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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