Jetzt hatten sie die letzten Stufen erreicht, auf einmal traten sie zwischen dem dunklen Laub, wie Bergleute aus einem Schacht, in's Freie hinaus. Da sahen sie rechts das alte Schloß, und vor ihm die weiten duftigen Blumenplätze, stille Lauben und Büsche, ein Springbrunnen plätscherte schläfrig dazwischen, weiter¬ hin dämmerte eine unermeßliche Aussicht im Mond¬ glanz durch die wunderbare Einsamkeit herauf. Fortu¬ nat schaute schweigend in die Runde, und eh' die kleine Marchesin sich noch besinnen konnte, hatte er schon eine weitgebreitete Linde bestiegen, die am äußersten Abhang über den schimmernden Abgrund hinaushing. Fiametta! rief er von oben, wär's nicht um dich, ich möchte alles wachschreien vor Freude! Sieh, da unten blickt der Strom manchmal so heimlich auf, drüben grasen Damhirsche am mondbeschienenen Abhang, nun seh' ich auch das Dorf, wo die lustigen Mädchen wohnen, mit denen ich hier oben getanzt, das schläft nun alles, alles -- nur eine Thurmuhr schlägt dort von fern herüber, ich hört' sie damals oft bei stiller Nacht. Und Gott Vater fährt über die Saiten seiner Harfe, wie eine leise Musik ziehts gnadenreich über die stille Gegend.
Fiametta aber sah sich nach allen Seiten um wie ein scheues Reh, in dem dunklen Buchengange, der vom Schloß herabkam, schwankte das Mondlicht, als bewegten sich bleiche Gestalten, sie fürchtete sich so
Jetzt hatten ſie die letzten Stufen erreicht, auf einmal traten ſie zwiſchen dem dunklen Laub, wie Bergleute aus einem Schacht, in's Freie hinaus. Da ſahen ſie rechts das alte Schloß, und vor ihm die weiten duftigen Blumenplaͤtze, ſtille Lauben und Buͤſche, ein Springbrunnen plaͤtſcherte ſchlaͤfrig dazwiſchen, weiter¬ hin daͤmmerte eine unermeßliche Ausſicht im Mond¬ glanz durch die wunderbare Einſamkeit herauf. Fortu¬ nat ſchaute ſchweigend in die Runde, und eh' die kleine Marcheſin ſich noch beſinnen konnte, hatte er ſchon eine weitgebreitete Linde beſtiegen, die am aͤußerſten Abhang uͤber den ſchimmernden Abgrund hinaushing. Fiametta! rief er von oben, waͤr's nicht um dich, ich moͤchte alles wachſchreien vor Freude! Sieh, da unten blickt der Strom manchmal ſo heimlich auf, druͤben graſen Damhirſche am mondbeſchienenen Abhang, nun ſeh' ich auch das Dorf, wo die luſtigen Maͤdchen wohnen, mit denen ich hier oben getanzt, das ſchlaͤft nun alles, alles — nur eine Thurmuhr ſchlaͤgt dort von fern heruͤber, ich hoͤrt' ſie damals oft bei ſtiller Nacht. Und Gott Vater faͤhrt uͤber die Saiten ſeiner Harfe, wie eine leiſe Muſik ziehts gnadenreich uͤber die ſtille Gegend.
Fiametta aber ſah ſich nach allen Seiten um wie ein ſcheues Reh, in dem dunklen Buchengange, der vom Schloß herabkam, ſchwankte das Mondlicht, als bewegten ſich bleiche Geſtalten, ſie fuͤrchtete ſich ſo
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Jetzt hatten ſie die letzten Stufen erreicht, auf einmal
traten ſie zwiſchen dem dunklen Laub, wie Bergleute
aus einem Schacht, in's Freie hinaus. Da ſahen ſie
rechts das alte Schloß, und vor ihm die weiten
duftigen Blumenplaͤtze, ſtille Lauben und Buͤſche, ein
Springbrunnen plaͤtſcherte ſchlaͤfrig dazwiſchen, weiter¬
hin daͤmmerte eine unermeßliche Ausſicht im Mond¬
glanz durch die wunderbare Einſamkeit herauf. Fortu¬
nat ſchaute ſchweigend in die Runde, und eh' die kleine
Marcheſin ſich noch beſinnen konnte, hatte er ſchon
eine weitgebreitete Linde beſtiegen, die am aͤußerſten
Abhang uͤber den ſchimmernden Abgrund hinaushing.
Fiametta! rief er von oben, waͤr's nicht um dich, ich
moͤchte alles wachſchreien vor Freude! Sieh, da unten
blickt der Strom manchmal ſo heimlich auf, druͤben
graſen Damhirſche am mondbeſchienenen Abhang, nun
ſeh' ich auch das Dorf, wo die luſtigen Maͤdchen
wohnen, mit denen ich hier oben getanzt, das ſchlaͤft
nun alles, alles — nur eine Thurmuhr ſchlaͤgt dort
von fern heruͤber, ich hoͤrt' ſie damals oft bei ſtiller
Nacht. Und Gott Vater faͤhrt uͤber die Saiten ſeiner
Harfe, wie eine leiſe Muſik ziehts gnadenreich uͤber
die ſtille Gegend.
Fiametta aber ſah ſich nach allen Seiten um wie
ein ſcheues Reh, in dem dunklen Buchengange, der
vom Schloß herabkam, ſchwankte das Mondlicht, als
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/334>, abgerufen am 22.11.2024.
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