kein Laut regte sich im ganzen Hause. Das Gras wuchs aus den Ritzen der Marmorstufen, die Thüren und Fenster waren alle festverschlossen, nur der Wind klappte eben mit einer halbzerbrochenen Lade, seitwärts schlug eine Nachtigall im Gebüsch, er hatte sie oft ge¬ hört, wenn er in den schwülen Sommernächten hier zum Liebchen schlich. -- Mein Gott, wo bin ich denn so lange gewesen! sagte er in Gedanken versunken. -- Da hörte er plötzlich in einiger Entfernung ein wohl¬ bekanntes Lied aus alter Zeit:
Jetzt wandr' ich erst gern! Am Fenster nun lauschen Die Mädchen, es rauschen Die Brunnen von fern --
Voll Freude antwortete er sogleich mit den folgenden Worten desselben Liedes:
Aus schimmernden Büschen Dein Plaudern so lieb Erkenn' ich dazwischen -- Ich höre mein Lieb!
Barmherziger Gott -- Kordelchen! rief er auf einmal erschrocken aus. Die Schauspielerin stand vor ihm, sorgfältig geschmückt, frischgepflückte, bunte Blumen im Haar. -- Ist er noch immer nicht zu Hause? fragte sie, nach dem Palast schauend. -- Wer denn? ent¬ gegnete Otto ganz verwirrt. -- Bei dem Klang sei¬ ner Stimme horchte sie hoch auf und sah ihn lange
kein Laut regte ſich im ganzen Hauſe. Das Gras wuchs aus den Ritzen der Marmorſtufen, die Thuͤren und Fenſter waren alle feſtverſchloſſen, nur der Wind klappte eben mit einer halbzerbrochenen Lade, ſeitwaͤrts ſchlug eine Nachtigall im Gebuͤſch, er hatte ſie oft ge¬ hoͤrt, wenn er in den ſchwuͤlen Sommernaͤchten hier zum Liebchen ſchlich. — Mein Gott, wo bin ich denn ſo lange geweſen! ſagte er in Gedanken verſunken. — Da hoͤrte er ploͤtzlich in einiger Entfernung ein wohl¬ bekanntes Lied aus alter Zeit:
Jetzt wandr' ich erſt gern! Am Fenſter nun lauſchen Die Maͤdchen, es rauſchen Die Brunnen von fern —
Voll Freude antwortete er ſogleich mit den folgenden Worten deſſelben Liedes:
Aus ſchimmernden Buͤſchen Dein Plaudern ſo lieb Erkenn' ich dazwiſchen — Ich hoͤre mein Lieb!
Barmherziger Gott — Kordelchen! rief er auf einmal erſchrocken aus. Die Schauſpielerin ſtand vor ihm, ſorgfaͤltig geſchmuͤckt, friſchgepfluͤckte, bunte Blumen im Haar. — Iſt er noch immer nicht zu Hauſe? fragte ſie, nach dem Palaſt ſchauend. — Wer denn? ent¬ gegnete Otto ganz verwirrt. — Bei dem Klang ſei¬ ner Stimme horchte ſie hoch auf und ſah ihn lange
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0324"n="317"/>
kein Laut regte ſich im ganzen Hauſe. Das Gras<lb/>
wuchs aus den Ritzen der Marmorſtufen, die Thuͤren<lb/>
und Fenſter waren alle feſtverſchloſſen, nur der Wind<lb/>
klappte eben mit einer halbzerbrochenen Lade, ſeitwaͤrts<lb/>ſchlug eine Nachtigall im Gebuͤſch, er hatte ſie oft ge¬<lb/>
hoͤrt, wenn er in den ſchwuͤlen Sommernaͤchten hier<lb/>
zum Liebchen ſchlich. — Mein Gott, wo bin ich denn<lb/>ſo lange geweſen! ſagte er in Gedanken verſunken. —<lb/>
Da hoͤrte er ploͤtzlich in einiger Entfernung ein wohl¬<lb/>
bekanntes Lied aus alter Zeit:<lb/><lgtype="poem"><l>Jetzt wandr' ich erſt gern!</l><lb/><l>Am Fenſter nun lauſchen</l><lb/><l>Die Maͤdchen, es rauſchen</l><lb/><l>Die Brunnen von fern —</l><lb/></lg> Voll Freude antwortete er ſogleich mit den folgenden<lb/>
Worten deſſelben Liedes:<lb/><lgtype="poem"><l>Aus ſchimmernden Buͤſchen</l><lb/><l>Dein Plaudern ſo lieb</l><lb/><l>Erkenn' ich dazwiſchen —</l><lb/><l>Ich hoͤre mein Lieb!</l><lb/></lg> Barmherziger Gott — Kordelchen! rief er auf einmal<lb/>
erſchrocken aus. Die Schauſpielerin ſtand vor ihm,<lb/>ſorgfaͤltig geſchmuͤckt, friſchgepfluͤckte, bunte Blumen im<lb/>
Haar. — Iſt er noch immer nicht zu Hauſe? fragte<lb/>ſie, nach dem Palaſt ſchauend. — Wer denn? ent¬<lb/>
gegnete Otto ganz verwirrt. — Bei dem Klang ſei¬<lb/>
ner Stimme horchte ſie hoch auf und ſah ihn lange<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[317/0324]
kein Laut regte ſich im ganzen Hauſe. Das Gras
wuchs aus den Ritzen der Marmorſtufen, die Thuͤren
und Fenſter waren alle feſtverſchloſſen, nur der Wind
klappte eben mit einer halbzerbrochenen Lade, ſeitwaͤrts
ſchlug eine Nachtigall im Gebuͤſch, er hatte ſie oft ge¬
hoͤrt, wenn er in den ſchwuͤlen Sommernaͤchten hier
zum Liebchen ſchlich. — Mein Gott, wo bin ich denn
ſo lange geweſen! ſagte er in Gedanken verſunken. —
Da hoͤrte er ploͤtzlich in einiger Entfernung ein wohl¬
bekanntes Lied aus alter Zeit:
Jetzt wandr' ich erſt gern!
Am Fenſter nun lauſchen
Die Maͤdchen, es rauſchen
Die Brunnen von fern —
Voll Freude antwortete er ſogleich mit den folgenden
Worten deſſelben Liedes:
Aus ſchimmernden Buͤſchen
Dein Plaudern ſo lieb
Erkenn' ich dazwiſchen —
Ich hoͤre mein Lieb!
Barmherziger Gott — Kordelchen! rief er auf einmal
erſchrocken aus. Die Schauſpielerin ſtand vor ihm,
ſorgfaͤltig geſchmuͤckt, friſchgepfluͤckte, bunte Blumen im
Haar. — Iſt er noch immer nicht zu Hauſe? fragte
ſie, nach dem Palaſt ſchauend. — Wer denn? ent¬
gegnete Otto ganz verwirrt. — Bei dem Klang ſei¬
ner Stimme horchte ſie hoch auf und ſah ihn lange
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/324>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.