Seele! Aber in seiner stillen Stube dann, nach solchen durchschwelgten Nächten, überkam es ihn oft wie Alp¬ hornsklänge den Schweizer in der Fremde. Da be¬ fiel ihn eine tiefe Angst, er dichtete hastig oft ganze Nächte hindurch, er wollte mit Poesie sich selber über¬ flügeln -- als wäre das Talent ein Ding für sich ohne den ganzen Menschen! -- So, zwischen halber Lust und Reue, versank er nach und nach immer tie¬ fer in Melancholie, Verzagen an sich selbst, in Lieder¬ lichkeit und Armuth, bis zuletzt ein zehrendes Fieber die müde Seele in seinen Traummantel einhüllte: da hörte er in seinen Phantasien das Posthorn wieder durch die Frühlingsnacht, dazwischen Waldesrauschen und das Glöcklein des Einsiedlers aus der Ferne. --
Er hatte mehrere Wochen krank gelegen. Als er endlich wieder zu sich kam, konnte er sich gar nicht be¬ sinnen, wo er war. Die Sonne schien über die Dä¬ cher freundlich durch das kleine Zimmer, eine Katze nickte auf dem Fensterbrett, nebenan hörte er einen Kanarienvogel singen, dann wieder eine Wanduhr da¬ zwischen picken, seine alte Wirthin saß auf einem Lehn¬ stuhl neben ihm am Bett und war über ihrem Strick¬ zeug eingeschlummert. Er sah lange verwirrt in die¬ ser Stille umher, eh' er sie weckte. Nun fuhr sie freu¬ dig empor, und erzählte ihm, wie sie schon für seine Seele gebetet, wie er irre geredet im Fieber, daß sein Freund noch immer nicht zurück sey, aber ein unbe¬
Seele! Aber in ſeiner ſtillen Stube dann, nach ſolchen durchſchwelgten Naͤchten, uͤberkam es ihn oft wie Alp¬ hornsklaͤnge den Schweizer in der Fremde. Da be¬ fiel ihn eine tiefe Angſt, er dichtete haſtig oft ganze Naͤchte hindurch, er wollte mit Poeſie ſich ſelber uͤber¬ fluͤgeln — als waͤre das Talent ein Ding fuͤr ſich ohne den ganzen Menſchen! — So, zwiſchen halber Luſt und Reue, verſank er nach und nach immer tie¬ fer in Melancholie, Verzagen an ſich ſelbſt, in Lieder¬ lichkeit und Armuth, bis zuletzt ein zehrendes Fieber die muͤde Seele in ſeinen Traummantel einhuͤllte: da hoͤrte er in ſeinen Phantaſien das Poſthorn wieder durch die Fruͤhlingsnacht, dazwiſchen Waldesrauſchen und das Gloͤcklein des Einſiedlers aus der Ferne. —
Er hatte mehrere Wochen krank gelegen. Als er endlich wieder zu ſich kam, konnte er ſich gar nicht be¬ ſinnen, wo er war. Die Sonne ſchien uͤber die Daͤ¬ cher freundlich durch das kleine Zimmer, eine Katze nickte auf dem Fenſterbrett, nebenan hoͤrte er einen Kanarienvogel ſingen, dann wieder eine Wanduhr da¬ zwiſchen picken, ſeine alte Wirthin ſaß auf einem Lehn¬ ſtuhl neben ihm am Bett und war uͤber ihrem Strick¬ zeug eingeſchlummert. Er ſah lange verwirrt in die¬ ſer Stille umher, eh' er ſie weckte. Nun fuhr ſie freu¬ dig empor, und erzaͤhlte ihm, wie ſie ſchon fuͤr ſeine Seele gebetet, wie er irre geredet im Fieber, daß ſein Freund noch immer nicht zuruͤck ſey, aber ein unbe¬
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Seele! Aber in ſeiner ſtillen Stube dann, nach ſolchen
durchſchwelgten Naͤchten, uͤberkam es ihn oft wie Alp¬
hornsklaͤnge den Schweizer in der Fremde. Da be¬
fiel ihn eine tiefe Angſt, er dichtete haſtig oft ganze
Naͤchte hindurch, er wollte mit Poeſie ſich ſelber uͤber¬
fluͤgeln — als waͤre das Talent ein Ding fuͤr ſich
ohne den ganzen Menſchen! — So, zwiſchen halber
Luſt und Reue, verſank er nach und nach immer tie¬
fer in Melancholie, Verzagen an ſich ſelbſt, in Lieder¬
lichkeit und Armuth, bis zuletzt ein zehrendes Fieber
die muͤde Seele in ſeinen Traummantel einhuͤllte: da
hoͤrte er in ſeinen Phantaſien das Poſthorn wieder
durch die Fruͤhlingsnacht, dazwiſchen Waldesrauſchen
und das Gloͤcklein des Einſiedlers aus der Ferne. —
Er hatte mehrere Wochen krank gelegen. Als er
endlich wieder zu ſich kam, konnte er ſich gar nicht be¬
ſinnen, wo er war. Die Sonne ſchien uͤber die Daͤ¬
cher freundlich durch das kleine Zimmer, eine Katze
nickte auf dem Fenſterbrett, nebenan hoͤrte er einen
Kanarienvogel ſingen, dann wieder eine Wanduhr da¬
zwiſchen picken, ſeine alte Wirthin ſaß auf einem Lehn¬
ſtuhl neben ihm am Bett und war uͤber ihrem Strick¬
zeug eingeſchlummert. Er ſah lange verwirrt in die¬
ſer Stille umher, eh' er ſie weckte. Nun fuhr ſie freu¬
dig empor, und erzaͤhlte ihm, wie ſie ſchon fuͤr ſeine
Seele gebetet, wie er irre geredet im Fieber, daß ſein
Freund noch immer nicht zuruͤck ſey, aber ein unbe¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/322>, abgerufen am 25.11.2024.
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