Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. -- Ent¬
setzlich! rief Manfred, in Gedanken hinabschauend.

Hier aber wurden sie plötzlich durch Dryanders
Geschrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten,
da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampf¬
haft in des Einsiedlers Kutte. Sagt' ich's doch, rief
dieser, ist dir wohl, so bleibe unten, arbeite und lobe
Gott, und laß allen Vorwitz! Damit packte er den
Doctor beim Kragen und schleuderte ihn von dem Ab¬
grund zurück und zur Zelle hinaus.

Indem sie aber nun in's Freie wieder heraustra¬
ten, sahen sie auf einmal zu ihrem Erstaunen zwei
fremde Gestalten erschrocken über den Klosterhof hin¬
wegstreichen. Er ist's, um Gotteswillen nur schnell!
flüsterte der eine, und in demselben Augenblick waren
beide zwischen dem alten Gemäuer in der Nacht wie¬
der verschwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr
Manfred sichtbar zusammen, er hatte die Flüchtlinge
in der scharfen Beleuchtung der Fackel unausgesetzt mit
den Augen verfolgt; jetzt stürzte er ihnen selbst nach.
Aber der Einsiedler schritt mit seinen langen Beinen
aus, daß die Kutte rauschte, und faßte ihn mächtig
am Arm. Seyd Ihr toll, rief er, ich weiß nicht,
wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht
im unbekannten Gebirge das Gesindel nicht fangt,
sondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock
seyd! -- Manfred mußte ihm nach kurzem Besinnen

ſich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. — Ent¬
ſetzlich! rief Manfred, in Gedanken hinabſchauend.

Hier aber wurden ſie ploͤtzlich durch Dryanders
Geſchrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten,
da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampf¬
haft in des Einſiedlers Kutte. Sagt' ich's doch, rief
dieſer, iſt dir wohl, ſo bleibe unten, arbeite und lobe
Gott, und laß allen Vorwitz! Damit packte er den
Doctor beim Kragen und ſchleuderte ihn von dem Ab¬
grund zuruͤck und zur Zelle hinaus.

Indem ſie aber nun in's Freie wieder heraustra¬
ten, ſahen ſie auf einmal zu ihrem Erſtaunen zwei
fremde Geſtalten erſchrocken uͤber den Kloſterhof hin¬
wegſtreichen. Er iſt's, um Gotteswillen nur ſchnell!
fluͤſterte der eine, und in demſelben Augenblick waren
beide zwiſchen dem alten Gemaͤuer in der Nacht wie¬
der verſchwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr
Manfred ſichtbar zuſammen, er hatte die Fluͤchtlinge
in der ſcharfen Beleuchtung der Fackel unausgeſetzt mit
den Augen verfolgt; jetzt ſtuͤrzte er ihnen ſelbſt nach.
Aber der Einſiedler ſchritt mit ſeinen langen Beinen
aus, daß die Kutte rauſchte, und faßte ihn maͤchtig
am Arm. Seyd Ihr toll, rief er, ich weiß nicht,
wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht
im unbekannten Gebirge das Geſindel nicht fangt,
ſondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock
ſeyd! — Manfred mußte ihm nach kurzem Beſinnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0294" n="287"/>
&#x017F;ich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. &#x2014; Ent¬<lb/>
&#x017F;etzlich! rief Manfred, in Gedanken hinab&#x017F;chauend.</p><lb/>
          <p>Hier aber wurden &#x017F;ie plo&#x0364;tzlich durch Dryanders<lb/>
Ge&#x017F;chrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten,<lb/>
da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampf¬<lb/>
haft in des Ein&#x017F;iedlers Kutte. Sagt' ich's doch, rief<lb/>
die&#x017F;er, i&#x017F;t dir wohl, &#x017F;o bleibe unten, arbeite und lobe<lb/>
Gott, und laß allen Vorwitz! Damit packte er den<lb/>
Doctor beim Kragen und &#x017F;chleuderte ihn von dem Ab¬<lb/>
grund zuru&#x0364;ck und zur Zelle hinaus.</p><lb/>
          <p>Indem &#x017F;ie aber nun in's Freie wieder heraustra¬<lb/>
ten, &#x017F;ahen &#x017F;ie auf einmal zu ihrem Er&#x017F;taunen zwei<lb/>
fremde Ge&#x017F;talten er&#x017F;chrocken u&#x0364;ber den Klo&#x017F;terhof hin¬<lb/>
weg&#x017F;treichen. Er i&#x017F;t's, um Gotteswillen nur &#x017F;chnell!<lb/>
flu&#x0364;&#x017F;terte der eine, und in dem&#x017F;elben Augenblick waren<lb/>
beide zwi&#x017F;chen dem alten Gema&#x0364;uer in der Nacht wie¬<lb/>
der ver&#x017F;chwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr<lb/>
Manfred &#x017F;ichtbar zu&#x017F;ammen, er hatte die Flu&#x0364;chtlinge<lb/>
in der &#x017F;charfen Beleuchtung der Fackel unausge&#x017F;etzt mit<lb/>
den Augen verfolgt; jetzt &#x017F;tu&#x0364;rzte er ihnen &#x017F;elb&#x017F;t nach.<lb/>
Aber der Ein&#x017F;iedler &#x017F;chritt mit &#x017F;einen langen Beinen<lb/>
aus, daß die Kutte rau&#x017F;chte, und faßte ihn ma&#x0364;chtig<lb/>
am Arm. Seyd Ihr toll, rief er, ich weiß nicht,<lb/>
wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht<lb/>
im unbekannten Gebirge das Ge&#x017F;indel nicht fangt,<lb/>
&#x017F;ondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock<lb/>
&#x017F;eyd! &#x2014; Manfred mußte ihm nach kurzem Be&#x017F;innen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0294] ſich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. — Ent¬ ſetzlich! rief Manfred, in Gedanken hinabſchauend. Hier aber wurden ſie ploͤtzlich durch Dryanders Geſchrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten, da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampf¬ haft in des Einſiedlers Kutte. Sagt' ich's doch, rief dieſer, iſt dir wohl, ſo bleibe unten, arbeite und lobe Gott, und laß allen Vorwitz! Damit packte er den Doctor beim Kragen und ſchleuderte ihn von dem Ab¬ grund zuruͤck und zur Zelle hinaus. Indem ſie aber nun in's Freie wieder heraustra¬ ten, ſahen ſie auf einmal zu ihrem Erſtaunen zwei fremde Geſtalten erſchrocken uͤber den Kloſterhof hin¬ wegſtreichen. Er iſt's, um Gotteswillen nur ſchnell! fluͤſterte der eine, und in demſelben Augenblick waren beide zwiſchen dem alten Gemaͤuer in der Nacht wie¬ der verſchwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr Manfred ſichtbar zuſammen, er hatte die Fluͤchtlinge in der ſcharfen Beleuchtung der Fackel unausgeſetzt mit den Augen verfolgt; jetzt ſtuͤrzte er ihnen ſelbſt nach. Aber der Einſiedler ſchritt mit ſeinen langen Beinen aus, daß die Kutte rauſchte, und faßte ihn maͤchtig am Arm. Seyd Ihr toll, rief er, ich weiß nicht, wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht im unbekannten Gebirge das Geſindel nicht fangt, ſondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock ſeyd! — Manfred mußte ihm nach kurzem Beſinnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/294
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/294>, abgerufen am 23.11.2024.