umzäunten Gärtchen sich zeigte. Der Eremit trug einen breiträndigen Pilgerhut, ein ungeheurer alter Schlafpelz, der ihm überall zu weit war, rauschte im Grase hinter ihm her, während er aus einer langen Pfeife Taback rauchte. Manfred traute seinen Augen nicht. Wie! rief er, Herr Dryander -- Sie also sind der Vitalis!? -- Vitalis? warum denn nicht? erwiederte Dryander gelassen, aber bleiben Sie mir mit dem dummen, wilden Pferde ein wenig vom Leibe.
Manfred band sein Pferd an einen Baum und folgte dem Doctor, der sich fast bei jedem Schritt auf den Pelz trat, zu der Klause. Dort fehlte nichts zum Hausrath eines vollkommenen Waldbruders, ein wei¬ ßer Todtenschädel glänzte aus der Grotte, an deren hinteren Felswand ein großes schmuckloses Crucifix auf¬ gerichtet war, ein Brevier lag auf der Bank vor der Klause, noch aufgeschlagen. Manfred sah lange finster umher, endlich brach er los. Das ist kein bloßer Scherz, sagte er, es wäre zu frevelhaft. Aber auch der bit¬ terste Ernst ist hier ein Frevel. Armer, grillenhafter, wetterwendischer Mensch, gehe erst zu den Einfältigen in die Lehre, erkenne erst unten im Gedränge das un¬ sichtbare Kreuz, das der Herr mitten im Leben aufge¬ richtet, eh' du es selbst zu fassen und in Seinem Na¬ men die Welt zu belehren und zu richten wagst! -- Amen, mein Sohn! unterbrach ihn hier Dryander mit milder Stimme, aber nimmermehr wird es dir gelin¬
umzaͤunten Gaͤrtchen ſich zeigte. Der Eremit trug einen breitraͤndigen Pilgerhut, ein ungeheurer alter Schlafpelz, der ihm uͤberall zu weit war, rauſchte im Graſe hinter ihm her, waͤhrend er aus einer langen Pfeife Taback rauchte. Manfred traute ſeinen Augen nicht. Wie! rief er, Herr Dryander — Sie alſo ſind der Vitalis!? — Vitalis? warum denn nicht? erwiederte Dryander gelaſſen, aber bleiben Sie mir mit dem dummen, wilden Pferde ein wenig vom Leibe.
Manfred band ſein Pferd an einen Baum und folgte dem Doctor, der ſich faſt bei jedem Schritt auf den Pelz trat, zu der Klauſe. Dort fehlte nichts zum Hausrath eines vollkommenen Waldbruders, ein wei¬ ßer Todtenſchaͤdel glaͤnzte aus der Grotte, an deren hinteren Felswand ein großes ſchmuckloſes Crucifix auf¬ gerichtet war, ein Brevier lag auf der Bank vor der Klauſe, noch aufgeſchlagen. Manfred ſah lange finſter umher, endlich brach er los. Das iſt kein bloßer Scherz, ſagte er, es waͤre zu frevelhaft. Aber auch der bit¬ terſte Ernſt iſt hier ein Frevel. Armer, grillenhafter, wetterwendiſcher Menſch, gehe erſt zu den Einfaͤltigen in die Lehre, erkenne erſt unten im Gedraͤnge das un¬ ſichtbare Kreuz, das der Herr mitten im Leben aufge¬ richtet, eh' du es ſelbſt zu faſſen und in Seinem Na¬ men die Welt zu belehren und zu richten wagſt! — Amen, mein Sohn! unterbrach ihn hier Dryander mit milder Stimme, aber nimmermehr wird es dir gelin¬
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umzaͤunten Gaͤrtchen ſich zeigte. Der Eremit trug
einen breitraͤndigen Pilgerhut, ein ungeheurer alter
Schlafpelz, der ihm uͤberall zu weit war, rauſchte im
Graſe hinter ihm her, waͤhrend er aus einer langen
Pfeife Taback rauchte. Manfred traute ſeinen Augen
nicht. Wie! rief er, Herr Dryander — Sie alſo
ſind der Vitalis!? — Vitalis? warum denn nicht?
erwiederte Dryander gelaſſen, aber bleiben Sie mir
mit dem dummen, wilden Pferde ein wenig vom Leibe.
Manfred band ſein Pferd an einen Baum und
folgte dem Doctor, der ſich faſt bei jedem Schritt auf
den Pelz trat, zu der Klauſe. Dort fehlte nichts zum
Hausrath eines vollkommenen Waldbruders, ein wei¬
ßer Todtenſchaͤdel glaͤnzte aus der Grotte, an deren
hinteren Felswand ein großes ſchmuckloſes Crucifix auf¬
gerichtet war, ein Brevier lag auf der Bank vor der
Klauſe, noch aufgeſchlagen. Manfred ſah lange finſter
umher, endlich brach er los. Das iſt kein bloßer Scherz,
ſagte er, es waͤre zu frevelhaft. Aber auch der bit¬
terſte Ernſt iſt hier ein Frevel. Armer, grillenhafter,
wetterwendiſcher Menſch, gehe erſt zu den Einfaͤltigen
in die Lehre, erkenne erſt unten im Gedraͤnge das un¬
ſichtbare Kreuz, das der Herr mitten im Leben aufge¬
richtet, eh' du es ſelbſt zu faſſen und in Seinem Na¬
men die Welt zu belehren und zu richten wagſt! —
Amen, mein Sohn! unterbrach ihn hier Dryander mit
milder Stimme, aber nimmermehr wird es dir gelin¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/284>, abgerufen am 24.11.2024.
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