Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.wie es schien, vor kurzem von Dryander beschriebenes Vor dem Schloß in den Bäumen es rauschend weht, Unter den Fenstern ein Spielmann geht,Mit irren Tönen verlockend den Sinn -- Der Spielmann aber ich selber bin. Vorüber jag' ich an manchem Schloß, Die Locken zerwühlet, verwildert das Roß,Du frommes Kindlein im stillen Haus, Schau' nicht nach mir zum Fenster hinaus! Von Lüsten und Reue zerrissen die Brust, Wie rasend in verzweifelter Lust,Brech' ich im Fluge mir Blumen zum Strauß, Wird doch kein fröhlicher Kranz nicht daraus! Wird aus dem Schrei doch nimmer Gesang, Herz, o mein Herz, bist ein irrer Klang,Den der Sturm in alle Lüfte verweht -- Leb't wohl, und fragt nicht, wohin es geht! Sollte man nicht wirklich denken, er sey durch wie es ſchien, vor kurzem von Dryander beſchriebenes Vor dem Schloß in den Baͤumen es rauſchend weht, Unter den Fenſtern ein Spielmann geht,Mit irren Toͤnen verlockend den Sinn — Der Spielmann aber ich ſelber bin. Voruͤber jag' ich an manchem Schloß, Die Locken zerwuͤhlet, verwildert das Roß,Du frommes Kindlein im ſtillen Haus, Schau' nicht nach mir zum Fenſter hinaus! Von Luͤſten und Reue zerriſſen die Bruſt, Wie raſend in verzweifelter Luſt,Brech' ich im Fluge mir Blumen zum Strauß, Wird doch kein froͤhlicher Kranz nicht daraus! Wird aus dem Schrei doch nimmer Geſang, Herz, o mein Herz, biſt ein irrer Klang,Den der Sturm in alle Luͤfte verweht — Leb't wohl, und fragt nicht, wohin es geht! Sollte man nicht wirklich denken, er ſey durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0281" n="274"/> wie es ſchien, vor kurzem von Dryander beſchriebenes<lb/> Blatt. Er nahm es auf und las:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l rendition="#et">Vor dem Schloß in den Baͤumen es rauſchend weht,</l><lb/> <l>Unter den Fenſtern ein Spielmann geht,</l><lb/> <l>Mit irren Toͤnen verlockend den Sinn —</l><lb/> <l>Der Spielmann aber ich ſelber bin.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l rendition="#et">Voruͤber jag' ich an manchem Schloß,</l><lb/> <l>Die Locken zerwuͤhlet, verwildert das Roß,</l><lb/> <l>Du frommes Kindlein im ſtillen Haus,</l><lb/> <l>Schau' nicht nach mir zum Fenſter hinaus!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l rendition="#et">Von Luͤſten und Reue zerriſſen die Bruſt,</l><lb/> <l>Wie raſend in verzweifelter Luſt,</l><lb/> <l>Brech' ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,</l><lb/> <l>Wird doch kein froͤhlicher Kranz nicht daraus!</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l rendition="#et">Wird aus dem Schrei doch nimmer Geſang,</l><lb/> <l>Herz, o mein Herz, biſt ein irrer Klang,</l><lb/> <l>Den der Sturm in alle Luͤfte verweht —</l><lb/> <l>Leb't wohl, und fragt nicht, wohin es geht!</l><lb/> </lg> </lg> <p>Sollte man nicht wirklich denken, er ſey durch<lb/> und durch verzweifelt, ſagte Manfred, indem er das<lb/> Blatt mitleidig laͤchelnd weglegte, und ich wette, da<lb/> hat er in der Zerſtreuung alles wieder rein vergeſſen,<lb/> was wir geſtern verabredet. — Und als er hinaus¬<lb/> blickte, ſah er draußen im Morgenblitzen das Waͤgel¬<lb/> chen des Dichters, uͤber dem ein durchloͤcherter Son¬<lb/> nenſchirm aufgeſpannt war, wie ein Schattenſpiel zwi¬<lb/> ſchen den gruͤnen Baͤumen dahinſchwanken.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [274/0281]
wie es ſchien, vor kurzem von Dryander beſchriebenes
Blatt. Er nahm es auf und las:
Vor dem Schloß in den Baͤumen es rauſchend weht,
Unter den Fenſtern ein Spielmann geht,
Mit irren Toͤnen verlockend den Sinn —
Der Spielmann aber ich ſelber bin.
Voruͤber jag' ich an manchem Schloß,
Die Locken zerwuͤhlet, verwildert das Roß,
Du frommes Kindlein im ſtillen Haus,
Schau' nicht nach mir zum Fenſter hinaus!
Von Luͤſten und Reue zerriſſen die Bruſt,
Wie raſend in verzweifelter Luſt,
Brech' ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,
Wird doch kein froͤhlicher Kranz nicht daraus!
Wird aus dem Schrei doch nimmer Geſang,
Herz, o mein Herz, biſt ein irrer Klang,
Den der Sturm in alle Luͤfte verweht —
Leb't wohl, und fragt nicht, wohin es geht!
Sollte man nicht wirklich denken, er ſey durch
und durch verzweifelt, ſagte Manfred, indem er das
Blatt mitleidig laͤchelnd weglegte, und ich wette, da
hat er in der Zerſtreuung alles wieder rein vergeſſen,
was wir geſtern verabredet. — Und als er hinaus¬
blickte, ſah er draußen im Morgenblitzen das Waͤgel¬
chen des Dichters, uͤber dem ein durchloͤcherter Son¬
nenſchirm aufgeſpannt war, wie ein Schattenſpiel zwi¬
ſchen den gruͤnen Baͤumen dahinſchwanken.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |