für die unbemittelte Gräfin erschien, als der etwas unscheinbare Manfred. So schwiegen sie recht mit innerlicher Lust und spielten die Getäuschten, täuschten aber unbewußt nur sich selbst, indem sie den zufällig dazwischengekommenen Fortunat, da er gleich von Anfang so räthselhaft auftrat, für den heimlich erwar¬ teten Grafen hielten. -- Victor'n aber verlockte indeß Juanna's Schönheit nach und nach immer tiefer in das wildeste Labyrinth ausschweifender Wünsche, er gab ihren herausfordernden Blicken eine Deutung, die sie selber niemals kannte. Da hörte er auf der Jagd zum erstenmal von der nahen Ankunft des unbekann¬ ten Bräutigams -- es war ihm unerträglich: er ent¬ schloß sich rasch, Juanna zu entführen, nur so, meinte er, könne diese wilde Nymphennatur bezwungen wer¬ den, gleichwie eine stillaufsteigende Flamme sich plötz¬ lich entfaltet, wenn der Sturm sie zerwühlt. -- Ja, kühne, schlanke Flamme! sagte er nun tausendmal zu sich selbst, wie griffst du plötzlich zornig in die Wal¬ desnacht und klettertest furchtbar schön die Felswand auf und nieder, daß alle Wipfel donnernd in die Glu¬ ten sanken! Die lust'gen Wälder meiner Jugend sind verbrannt.
In solchen Gedanken war Victor jetzt durch mehrere Straßen fortgeschritten. Die Wagen rasselten aus dem Theater, der hoffärtige Patriotismus koket¬ tirte aus tausend geputzten Fenstern, Kinder zogen in
fuͤr die unbemittelte Graͤfin erſchien, als der etwas unſcheinbare Manfred. So ſchwiegen ſie recht mit innerlicher Luſt und ſpielten die Getaͤuſchten, taͤuſchten aber unbewußt nur ſich ſelbſt, indem ſie den zufaͤllig dazwiſchengekommenen Fortunat, da er gleich von Anfang ſo raͤthſelhaft auftrat, fuͤr den heimlich erwar¬ teten Grafen hielten. — Victor'n aber verlockte indeß Juanna's Schoͤnheit nach und nach immer tiefer in das wildeſte Labyrinth ausſchweifender Wuͤnſche, er gab ihren herausfordernden Blicken eine Deutung, die ſie ſelber niemals kannte. Da hoͤrte er auf der Jagd zum erſtenmal von der nahen Ankunft des unbekann¬ ten Braͤutigams — es war ihm unertraͤglich: er ent¬ ſchloß ſich raſch, Juanna zu entfuͤhren, nur ſo, meinte er, koͤnne dieſe wilde Nymphennatur bezwungen wer¬ den, gleichwie eine ſtillaufſteigende Flamme ſich ploͤtz¬ lich entfaltet, wenn der Sturm ſie zerwuͤhlt. — Ja, kuͤhne, ſchlanke Flamme! ſagte er nun tauſendmal zu ſich ſelbſt, wie griffſt du ploͤtzlich zornig in die Wal¬ desnacht und kletterteſt furchtbar ſchoͤn die Felswand auf und nieder, daß alle Wipfel donnernd in die Glu¬ ten ſanken! Die luſt'gen Waͤlder meiner Jugend ſind verbrannt.
In ſolchen Gedanken war Victor jetzt durch mehrere Straßen fortgeſchritten. Die Wagen raſſelten aus dem Theater, der hoffaͤrtige Patriotismus koket¬ tirte aus tauſend geputzten Fenſtern, Kinder zogen in
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fuͤr die unbemittelte Graͤfin erſchien, als der etwas
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aber unbewußt nur ſich ſelbſt, indem ſie den zufaͤllig
dazwiſchengekommenen Fortunat, da er gleich von
Anfang ſo raͤthſelhaft auftrat, fuͤr den heimlich erwar¬
teten Grafen hielten. — Victor'n aber verlockte indeß
Juanna's Schoͤnheit nach und nach immer tiefer in
das wildeſte Labyrinth ausſchweifender Wuͤnſche, er
gab ihren herausfordernden Blicken eine Deutung, die
ſie ſelber niemals kannte. Da hoͤrte er auf der Jagd
zum erſtenmal von der nahen Ankunft des unbekann¬
ten Braͤutigams — es war ihm unertraͤglich: er ent¬
ſchloß ſich raſch, Juanna zu entfuͤhren, nur ſo, meinte
er, koͤnne dieſe wilde Nymphennatur bezwungen wer¬
den, gleichwie eine ſtillaufſteigende Flamme ſich ploͤtz¬
lich entfaltet, wenn der Sturm ſie zerwuͤhlt. — Ja,
kuͤhne, ſchlanke Flamme! ſagte er nun tauſendmal zu
ſich ſelbſt, wie griffſt du ploͤtzlich zornig in die Wal¬
desnacht und kletterteſt furchtbar ſchoͤn die Felswand
auf und nieder, daß alle Wipfel donnernd in die Glu¬
ten ſanken! Die luſt'gen Waͤlder meiner Jugend ſind
verbrannt.
In ſolchen Gedanken war Victor jetzt durch
mehrere Straßen fortgeſchritten. Die Wagen raſſelten
aus dem Theater, der hoffaͤrtige Patriotismus koket¬
tirte aus tauſend geputzten Fenſtern, Kinder zogen in
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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