Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

hieb sich mit seinem Schwerte Bahn durch das Ge¬
strüpp, aus welchem verstörte Schlangen nach den
Steinritzen schlüpften. So waren sie auf einen Fel¬
sen gekommen, der Schwindel erregend über eine uner¬
meßliche, dämmernde Tiefe hinüberhing. Albert stand
am äußersten Rande und wies mit seinem Schwerte
schweigend in die Ferne. -- Großer Gott, wie herr¬
lich! rief Otto überrascht aus -- Rom lag da unten
still und feierlich im Mondglanz. -- Da hörte er auf
einmal ein Geräusch, er sah Albert plötzlich wanken,
sinken. Der Unglückliche hatte sich mit heidnischer Tu¬
gend in sein eignes Schwert gestürzt. -- Grüße das
Vaterland -- ich sterbe -- frei, sagte er ohne Zeichen
des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugesprunge¬
nen Otto kräftig ab, und glitt, eh' ihn dieser wieder
fassen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.

Entsetzt beugte sich Otto über die Felsenwand, es
war alles still unten, nur der Strom rauschte zornig
herauf -- da faßte ihn ein unwiderstehliches Grauen,
halbbewußtlos schwang er sich von Klippe zu Klippe
den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er seitwärts
in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Gestalten
mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte gräßlich
beleuchteten. Nun schlugen hin und wieder Hunde an,
einzelne Stimmen wurden in dem Thale wach, der
Wiederschein der Windlichter spiegelte sich wild im
Flusse. Otto wagte nicht mehr zurückzublicken, schauernd

hieb ſich mit ſeinem Schwerte Bahn durch das Ge¬
ſtruͤpp, aus welchem verſtoͤrte Schlangen nach den
Steinritzen ſchluͤpften. So waren ſie auf einen Fel¬
ſen gekommen, der Schwindel erregend uͤber eine uner¬
meßliche, daͤmmernde Tiefe hinuͤberhing. Albert ſtand
am aͤußerſten Rande und wies mit ſeinem Schwerte
ſchweigend in die Ferne. — Großer Gott, wie herr¬
lich! rief Otto uͤberraſcht aus — Rom lag da unten
ſtill und feierlich im Mondglanz. — Da hoͤrte er auf
einmal ein Geraͤuſch, er ſah Albert ploͤtzlich wanken,
ſinken. Der Ungluͤckliche hatte ſich mit heidniſcher Tu¬
gend in ſein eignes Schwert geſtuͤrzt. — Gruͤße das
Vaterland — ich ſterbe — frei, ſagte er ohne Zeichen
des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugeſprunge¬
nen Otto kraͤftig ab, und glitt, eh' ihn dieſer wieder
faſſen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.

Entſetzt beugte ſich Otto uͤber die Felſenwand, es
war alles ſtill unten, nur der Strom rauſchte zornig
herauf — da faßte ihn ein unwiderſtehliches Grauen,
halbbewußtlos ſchwang er ſich von Klippe zu Klippe
den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er ſeitwaͤrts
in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Geſtalten
mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte graͤßlich
beleuchteten. Nun ſchlugen hin und wieder Hunde an,
einzelne Stimmen wurden in dem Thale wach, der
Wiederſchein der Windlichter ſpiegelte ſich wild im
Fluſſe. Otto wagte nicht mehr zuruͤckzublicken, ſchauernd

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0243" n="236"/>
hieb &#x017F;ich mit &#x017F;einem Schwerte Bahn durch das Ge¬<lb/>
&#x017F;tru&#x0364;pp, aus welchem ver&#x017F;to&#x0364;rte Schlangen nach den<lb/>
Steinritzen &#x017F;chlu&#x0364;pften. So waren &#x017F;ie auf einen Fel¬<lb/>
&#x017F;en gekommen, der Schwindel erregend u&#x0364;ber eine uner¬<lb/>
meßliche, da&#x0364;mmernde Tiefe hinu&#x0364;berhing. Albert &#x017F;tand<lb/>
am a&#x0364;ußer&#x017F;ten Rande und wies mit &#x017F;einem Schwerte<lb/>
&#x017F;chweigend in die Ferne. &#x2014; Großer Gott, wie herr¬<lb/>
lich! rief Otto u&#x0364;berra&#x017F;cht aus &#x2014; Rom lag da unten<lb/>
&#x017F;till und feierlich im Mondglanz. &#x2014; Da ho&#x0364;rte er auf<lb/>
einmal ein Gera&#x0364;u&#x017F;ch, er &#x017F;ah Albert plo&#x0364;tzlich wanken,<lb/>
&#x017F;inken. Der Unglu&#x0364;ckliche hatte &#x017F;ich mit heidni&#x017F;cher Tu¬<lb/>
gend in &#x017F;ein eignes Schwert ge&#x017F;tu&#x0364;rzt. &#x2014; Gru&#x0364;ße das<lb/>
Vaterland &#x2014; ich &#x017F;terbe &#x2014; frei, &#x017F;agte er ohne Zeichen<lb/>
des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzuge&#x017F;prunge¬<lb/>
nen Otto kra&#x0364;ftig ab, und glitt, eh' ihn die&#x017F;er wieder<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.</p><lb/>
          <p>Ent&#x017F;etzt beugte &#x017F;ich Otto u&#x0364;ber die Fel&#x017F;enwand, es<lb/>
war alles &#x017F;till unten, nur der Strom rau&#x017F;chte zornig<lb/>
herauf &#x2014; da faßte ihn ein unwider&#x017F;tehliches Grauen,<lb/>
halbbewußtlos &#x017F;chwang er &#x017F;ich von Klippe zu Klippe<lb/>
den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er &#x017F;eitwa&#x0364;rts<lb/>
in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Ge&#x017F;talten<lb/>
mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte gra&#x0364;ßlich<lb/>
beleuchteten. Nun &#x017F;chlugen hin und wieder Hunde an,<lb/>
einzelne Stimmen wurden in dem Thale wach, der<lb/>
Wieder&#x017F;chein der Windlichter &#x017F;piegelte &#x017F;ich wild im<lb/>
Flu&#x017F;&#x017F;e. Otto wagte nicht mehr zuru&#x0364;ckzublicken, &#x017F;chauernd<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0243] hieb ſich mit ſeinem Schwerte Bahn durch das Ge¬ ſtruͤpp, aus welchem verſtoͤrte Schlangen nach den Steinritzen ſchluͤpften. So waren ſie auf einen Fel¬ ſen gekommen, der Schwindel erregend uͤber eine uner¬ meßliche, daͤmmernde Tiefe hinuͤberhing. Albert ſtand am aͤußerſten Rande und wies mit ſeinem Schwerte ſchweigend in die Ferne. — Großer Gott, wie herr¬ lich! rief Otto uͤberraſcht aus — Rom lag da unten ſtill und feierlich im Mondglanz. — Da hoͤrte er auf einmal ein Geraͤuſch, er ſah Albert ploͤtzlich wanken, ſinken. Der Ungluͤckliche hatte ſich mit heidniſcher Tu¬ gend in ſein eignes Schwert geſtuͤrzt. — Gruͤße das Vaterland — ich ſterbe — frei, ſagte er ohne Zeichen des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugeſprunge¬ nen Otto kraͤftig ab, und glitt, eh' ihn dieſer wieder faſſen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab. Entſetzt beugte ſich Otto uͤber die Felſenwand, es war alles ſtill unten, nur der Strom rauſchte zornig herauf — da faßte ihn ein unwiderſtehliches Grauen, halbbewußtlos ſchwang er ſich von Klippe zu Klippe den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er ſeitwaͤrts in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Geſtalten mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte graͤßlich beleuchteten. Nun ſchlugen hin und wieder Hunde an, einzelne Stimmen wurden in dem Thale wach, der Wiederſchein der Windlichter ſpiegelte ſich wild im Fluſſe. Otto wagte nicht mehr zuruͤckzublicken, ſchauernd

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/243
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/243>, abgerufen am 22.11.2024.