Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und da es gar nicht enden wollte, zog er seinen Man¬
tel über den Kopf, und schlummerte bald vor Ermü¬
dung ein.

Als er wieder aufwachte, war Walter unterdeß
vor Aerger fest eingeschlafen. Er sah freudig rings
um sich her, die tiefe Einsamkeit, die unbekannte Ge¬
gend, der Schlafende, und die Pferde im Mondschein,
alles war ihm so neu und wunderbar; er ging unter
den Bäumen auf und nieder, und sang halb für sich:

Wie schön hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Mährchen hallt.
Die Berg' im Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern' gehn auf und nieder --
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?
2

und da es gar nicht enden wollte, zog er ſeinen Man¬
tel uͤber den Kopf, und ſchlummerte bald vor Ermuͤ¬
dung ein.

Als er wieder aufwachte, war Walter unterdeß
vor Aerger feſt eingeſchlafen. Er ſah freudig rings
um ſich her, die tiefe Einſamkeit, die unbekannte Ge¬
gend, der Schlafende, und die Pferde im Mondſchein,
alles war ihm ſo neu und wunderbar; er ging unter
den Baͤumen auf und nieder, und ſang halb fuͤr ſich:

Wie ſchoͤn hier zu vertraͤumen
Die Nacht im ſtillen Wald,
Wenn in den dunklen Baͤumen
Das alte Maͤhrchen hallt.
Die Berg' im Mondesſchimmer
Wie in Gedanken ſtehn,
Und durch verworrne Truͤmmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn muͤd ging auf den Matten
Die Schoͤnheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kuͤhlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das iſt das irre Klagen
In ſtiller Waldespracht,
Die Nachtigallen ſchlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern' gehn auf und nieder —
Wann kommſt du, Morgenwind,
Und hebſt die Schatten wieder
Von dem vertraͤumten Kind?
2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0024" n="17"/>
und da es gar nicht enden wollte, zog er &#x017F;einen Man¬<lb/>
tel u&#x0364;ber den Kopf, und &#x017F;chlummerte bald vor Ermu&#x0364;¬<lb/>
dung ein.</p><lb/>
          <p>Als er wieder aufwachte, war Walter unterdeß<lb/>
vor Aerger fe&#x017F;t einge&#x017F;chlafen. Er &#x017F;ah freudig rings<lb/>
um &#x017F;ich her, die tiefe Ein&#x017F;amkeit, die unbekannte Ge¬<lb/>
gend, der Schlafende, und die Pferde im Mond&#x017F;chein,<lb/>
alles war ihm &#x017F;o neu und wunderbar; er ging unter<lb/>
den Ba&#x0364;umen auf und nieder, und &#x017F;ang halb fu&#x0364;r &#x017F;ich:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Wie &#x017F;cho&#x0364;n hier zu vertra&#x0364;umen</l><lb/>
              <l>Die Nacht im &#x017F;tillen Wald,</l><lb/>
              <l>Wenn in den dunklen Ba&#x0364;umen</l><lb/>
              <l>Das alte Ma&#x0364;hrchen hallt.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l rendition="#et">Die Berg' im Mondes&#x017F;chimmer</l><lb/>
              <l>Wie in Gedanken &#x017F;tehn,</l><lb/>
              <l>Und durch verworrne Tru&#x0364;mmer</l><lb/>
              <l>Die Quellen klagend gehn.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l rendition="#et">Denn mu&#x0364;d ging auf den Matten</l><lb/>
              <l>Die Scho&#x0364;nheit nun zur Ruh,</l><lb/>
              <l>Es deckt mit ku&#x0364;hlen Schatten</l><lb/>
              <l>Die Nacht das Liebchen zu.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l rendition="#et">Das i&#x017F;t das irre Klagen</l><lb/>
              <l>In &#x017F;tiller Waldespracht,</l><lb/>
              <l>Die Nachtigallen &#x017F;chlagen</l><lb/>
              <l>Von ihr die ganze Nacht.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l rendition="#et">Die Stern' gehn auf und nieder &#x2014;</l><lb/>
              <l>Wann komm&#x017F;t du, Morgenwind,</l><lb/>
              <l>Und heb&#x017F;t die Schatten wieder</l><lb/>
              <l>Von dem vertra&#x0364;umten Kind?</l><lb/>
            </lg>
            <fw place="bottom" type="sig">2<lb/></fw>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0024] und da es gar nicht enden wollte, zog er ſeinen Man¬ tel uͤber den Kopf, und ſchlummerte bald vor Ermuͤ¬ dung ein. Als er wieder aufwachte, war Walter unterdeß vor Aerger feſt eingeſchlafen. Er ſah freudig rings um ſich her, die tiefe Einſamkeit, die unbekannte Ge¬ gend, der Schlafende, und die Pferde im Mondſchein, alles war ihm ſo neu und wunderbar; er ging unter den Baͤumen auf und nieder, und ſang halb fuͤr ſich: Wie ſchoͤn hier zu vertraͤumen Die Nacht im ſtillen Wald, Wenn in den dunklen Baͤumen Das alte Maͤhrchen hallt. Die Berg' im Mondesſchimmer Wie in Gedanken ſtehn, Und durch verworrne Truͤmmer Die Quellen klagend gehn. Denn muͤd ging auf den Matten Die Schoͤnheit nun zur Ruh, Es deckt mit kuͤhlen Schatten Die Nacht das Liebchen zu. Das iſt das irre Klagen In ſtiller Waldespracht, Die Nachtigallen ſchlagen Von ihr die ganze Nacht. Die Stern' gehn auf und nieder — Wann kommſt du, Morgenwind, Und hebſt die Schatten wieder Von dem vertraͤumten Kind? 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/24
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/24>, abgerufen am 21.11.2024.