Auf einmal aber warst du in Heidelberg spurlos ver¬ schwunden, sagte Fortunat. Ein von den Ferien zu¬ rückkehrender Student hatte deinen Mantel mitten auf der Heerstraße gefunden, den wir sodann mit einem philosophischen Leichen-Sermon feierlich zur Erde be¬ stattet haben. Wie ging das zu? -- Das will ich euch wohl berichten, entgegnete Grundling.
Es trieb sich dazumal ein schlanker, junger Mensch in Heidelberg herum, den niemand näher kannte, er war nicht Student, nicht Philister, aber verdammt schlau. Das kam mir gleich verdächtig vor, denn ich habe in solchen Stücken eine feine Nase. Ich fühlte dem Patron bei schicklicher Gelegenheit auf den Zahn, da sprach er von Fürsten, Ministern und Bischöfen? -- versteht ihr? Bischöfen -- mit denen er oft in naher Berührung stände, von Rührung, Stimmung der Seelen u. s. w., aber alles glatt und durcheinan¬ dergeschlungen, wie ein Aal. Da schoß mir endlich ganz das Blatt. Ja, liebe Freunde, es war nie¬ mand anders, als ein geheimer Jesuit, so ein ver¬ dammter proselytenmacherischer Emissair! Nun, Ihr kennt mich, von Stund' an faßt' ich den Kerl scharf in's Auge, sann und beobachtete ihn bei Tag und Nacht. Eines Abends sehr spät wandle ich eben in meinem Mantel vor dem Thore so für mich auf und nieder, als ich auf einmal den Emissair sacht und vor¬ sichtig in ein dunkles Gebüsch schlüpfen sehe. Ich,
Auf einmal aber warſt du in Heidelberg ſpurlos ver¬ ſchwunden, ſagte Fortunat. Ein von den Ferien zu¬ ruͤckkehrender Student hatte deinen Mantel mitten auf der Heerſtraße gefunden, den wir ſodann mit einem philoſophiſchen Leichen-Sermon feierlich zur Erde be¬ ſtattet haben. Wie ging das zu? — Das will ich euch wohl berichten, entgegnete Grundling.
Es trieb ſich dazumal ein ſchlanker, junger Menſch in Heidelberg herum, den niemand naͤher kannte, er war nicht Student, nicht Philiſter, aber verdammt ſchlau. Das kam mir gleich verdaͤchtig vor, denn ich habe in ſolchen Stuͤcken eine feine Naſe. Ich fuͤhlte dem Patron bei ſchicklicher Gelegenheit auf den Zahn, da ſprach er von Fuͤrſten, Miniſtern und Biſchoͤfen? — verſteht ihr? Biſchoͤfen — mit denen er oft in naher Beruͤhrung ſtaͤnde, von Ruͤhrung, Stimmung der Seelen u. ſ. w., aber alles glatt und durcheinan¬ dergeſchlungen, wie ein Aal. Da ſchoß mir endlich ganz das Blatt. Ja, liebe Freunde, es war nie¬ mand anders, als ein geheimer Jeſuit, ſo ein ver¬ dammter proſelytenmacheriſcher Emiſſair! Nun, Ihr kennt mich, von Stund' an faßt' ich den Kerl ſcharf in's Auge, ſann und beobachtete ihn bei Tag und Nacht. Eines Abends ſehr ſpaͤt wandle ich eben in meinem Mantel vor dem Thore ſo fuͤr mich auf und nieder, als ich auf einmal den Emiſſair ſacht und vor¬ ſichtig in ein dunkles Gebuͤſch ſchluͤpfen ſehe. Ich,
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Auf einmal aber warſt du in Heidelberg ſpurlos ver¬
ſchwunden, ſagte Fortunat. Ein von den Ferien zu¬
ruͤckkehrender Student hatte deinen Mantel mitten auf
der Heerſtraße gefunden, den wir ſodann mit einem
philoſophiſchen Leichen-Sermon feierlich zur Erde be¬
ſtattet haben. Wie ging das zu? — Das will ich
euch wohl berichten, entgegnete Grundling.
Es trieb ſich dazumal ein ſchlanker, junger Menſch
in Heidelberg herum, den niemand naͤher kannte, er
war nicht Student, nicht Philiſter, aber verdammt
ſchlau. Das kam mir gleich verdaͤchtig vor, denn ich
habe in ſolchen Stuͤcken eine feine Naſe. Ich fuͤhlte
dem Patron bei ſchicklicher Gelegenheit auf den Zahn,
da ſprach er von Fuͤrſten, Miniſtern und Biſchoͤfen?
— verſteht ihr? Biſchoͤfen — mit denen er oft in
naher Beruͤhrung ſtaͤnde, von Ruͤhrung, Stimmung
der Seelen u. ſ. w., aber alles glatt und durcheinan¬
dergeſchlungen, wie ein Aal. Da ſchoß mir endlich
ganz das Blatt. Ja, liebe Freunde, es war nie¬
mand anders, als ein geheimer Jeſuit, ſo ein ver¬
dammter proſelytenmacheriſcher Emiſſair! Nun, Ihr
kennt mich, von Stund' an faßt' ich den Kerl ſcharf
in's Auge, ſann und beobachtete ihn bei Tag und
Nacht. Eines Abends ſehr ſpaͤt wandle ich eben in
meinem Mantel vor dem Thore ſo fuͤr mich auf und
nieder, als ich auf einmal den Emiſſair ſacht und vor¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/210>, abgerufen am 24.11.2024.
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