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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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mehreren Jahren auf Reisen. Und ich reite doch hin!
entgegnete Fortunat fröhlich, wer einen Dichter recht
verstehen will, muß seine Heimath kennen. Auf ihre
stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der dann
durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heim¬
weh fortklingt. Walter schien einem Anschlage nach¬
zudenken. Wohlan, sagte er endlich, wenn Du durch¬
aus hin willst, so begleite ich Dich, ich bin dort wohl¬
bekannt, und wir bleiben dann um so länger beisam¬
men. Ich muß Dir nur gestehen, ich hatte mich
eigentlich schon selbst darauf eingerichtet, in diesen Ta¬
gen hinzugehen. Hier kann ich Dir nicht viel Ergötz¬
liches bieten, und wenn's Dir recht ist, so reisen wir
morgen. -- Fortunat schlug freudig ein.

Walter aber fing nun an, einige Lieblingsstellen
aus Victors Werken zu rezitiren, was Fortunaten
immer störte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen,
sondern eben nur das ganze gute Gedicht giebt, gleich¬
wie eine abgeschlagene Nase oder ein paar abgerissene
Ohren der mediceischen Venus für Kenner recht gut,
aber sonst ganz nichtswürdig sind.

Du kennst doch Victors Werke? Du liebst ihn
doch auch? unterbrach sich endlich Walter selbst, da
Fortunat schweigend ein Glas nach dem andern hin¬
unterstürzte. -- Ich liebe ihn, sagte dieser, wie ich
ein nächtliches Gewitter liebe, das alles Grauen und
alle Wunder in der Brust regt, ich kenne ihn, weil

mehreren Jahren auf Reiſen. Und ich reite doch hin!
entgegnete Fortunat froͤhlich, wer einen Dichter recht
verſtehen will, muß ſeine Heimath kennen. Auf ihre
ſtillen Plaͤtze iſt der Grundton gebannt, der dann
durch alle ſeine Buͤcher wie ein unausſprechliches Heim¬
weh fortklingt. Walter ſchien einem Anſchlage nach¬
zudenken. Wohlan, ſagte er endlich, wenn Du durch¬
aus hin willſt, ſo begleite ich Dich, ich bin dort wohl¬
bekannt, und wir bleiben dann um ſo laͤnger beiſam¬
men. Ich muß Dir nur geſtehen, ich hatte mich
eigentlich ſchon ſelbſt darauf eingerichtet, in dieſen Ta¬
gen hinzugehen. Hier kann ich Dir nicht viel Ergoͤtz¬
liches bieten, und wenn's Dir recht iſt, ſo reiſen wir
morgen. — Fortunat ſchlug freudig ein.

Walter aber fing nun an, einige Lieblingsſtellen
aus Victors Werken zu rezitiren, was Fortunaten
immer ſtoͤrte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen,
ſondern eben nur das ganze gute Gedicht giebt, gleich¬
wie eine abgeſchlagene Naſe oder ein paar abgeriſſene
Ohren der mediceiſchen Venus fuͤr Kenner recht gut,
aber ſonſt ganz nichtswuͤrdig ſind.

Du kennſt doch Victors Werke? Du liebſt ihn
doch auch? unterbrach ſich endlich Walter ſelbſt, da
Fortunat ſchweigend ein Glas nach dem andern hin¬
unterſtuͤrzte. — Ich liebe ihn, ſagte dieſer, wie ich
ein naͤchtliches Gewitter liebe, das alles Grauen und
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[10/0017] mehreren Jahren auf Reiſen. Und ich reite doch hin! entgegnete Fortunat froͤhlich, wer einen Dichter recht verſtehen will, muß ſeine Heimath kennen. Auf ihre ſtillen Plaͤtze iſt der Grundton gebannt, der dann durch alle ſeine Buͤcher wie ein unausſprechliches Heim¬ weh fortklingt. Walter ſchien einem Anſchlage nach¬ zudenken. Wohlan, ſagte er endlich, wenn Du durch¬ aus hin willſt, ſo begleite ich Dich, ich bin dort wohl¬ bekannt, und wir bleiben dann um ſo laͤnger beiſam¬ men. Ich muß Dir nur geſtehen, ich hatte mich eigentlich ſchon ſelbſt darauf eingerichtet, in dieſen Ta¬ gen hinzugehen. Hier kann ich Dir nicht viel Ergoͤtz¬ liches bieten, und wenn's Dir recht iſt, ſo reiſen wir morgen. — Fortunat ſchlug freudig ein. Walter aber fing nun an, einige Lieblingsſtellen aus Victors Werken zu rezitiren, was Fortunaten immer ſtoͤrte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen, ſondern eben nur das ganze gute Gedicht giebt, gleich¬ wie eine abgeſchlagene Naſe oder ein paar abgeriſſene Ohren der mediceiſchen Venus fuͤr Kenner recht gut, aber ſonſt ganz nichtswuͤrdig ſind. Du kennſt doch Victors Werke? Du liebſt ihn doch auch? unterbrach ſich endlich Walter ſelbſt, da Fortunat ſchweigend ein Glas nach dem andern hin¬ unterſtuͤrzte. — Ich liebe ihn, ſagte dieſer, wie ich ein naͤchtliches Gewitter liebe, das alles Grauen und alle Wunder in der Bruſt regt, ich kenne ihn, weil

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/17>, abgerufen am 21.11.2024.