Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Walter faßte lächelnd die ihm dargebotene Rechte.
Was mich eigentlich zwischen diesen Bergen festhält,
sagte er, das sollst Du künftig erfahren. -- Doch --
Du magst immerhin lachen -- das kann ich außer¬
dem ehrlich sagen: es wäre mir schwer, ja gewisser¬
maaßen unmöglich, den einmal mit Ernst und Lust
begonnenen Geschäften zu entsagen, die wie ein stiller
klarer Strom in tausend unscheinbaren Nebenarmen
das Land befruchten, und mich so von meiner stillen
Stube aus in immer wechselndem lebendigen Verkehr
mit den entferntesten Gegenden verbinden.

Fortunat sah ihn nachdenklich an. Du meinst es
immer brav, sagte er nach einer Pause, darum glaube
ich Dir, wo ich Dich auch nicht recht verstehe. Aber
in welchem gräulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei!
Keiner hat Zeit zu lesen, zu denken, zu beten. Das
nennt man Pflichttreue; als hätte der Mensch nicht
auch die höhere Pflicht, sich auf Erden auszumausern
und die schäbigen Flügel zu putzen zum letzten großen
Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht
wie ein Wirthshaus an der breiten Landstraße liegt,
sondern treu und ernstlich und mit ganzer ungetheilter
Seele erstürmt seyn will. Ja, ich habe schon oft
nachgedacht über den Grund dieser zärtlichen Liebe so
Vieler zum Staatsdienst. Hunger ist es nicht immer,
noch seltener Durst nach Nützlichkeit. Ich fürchte, es
ist bei den Meisten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne

Walter faßte laͤchelnd die ihm dargebotene Rechte.
Was mich eigentlich zwiſchen dieſen Bergen feſthaͤlt,
ſagte er, das ſollſt Du kuͤnftig erfahren. — Doch —
Du magſt immerhin lachen — das kann ich außer¬
dem ehrlich ſagen: es waͤre mir ſchwer, ja gewiſſer¬
maaßen unmoͤglich, den einmal mit Ernſt und Luſt
begonnenen Geſchaͤften zu entſagen, die wie ein ſtiller
klarer Strom in tauſend unſcheinbaren Nebenarmen
das Land befruchten, und mich ſo von meiner ſtillen
Stube aus in immer wechſelndem lebendigen Verkehr
mit den entfernteſten Gegenden verbinden.

Fortunat ſah ihn nachdenklich an. Du meinſt es
immer brav, ſagte er nach einer Pauſe, darum glaube
ich Dir, wo ich Dich auch nicht recht verſtehe. Aber
in welchem graͤulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei!
Keiner hat Zeit zu leſen, zu denken, zu beten. Das
nennt man Pflichttreue; als haͤtte der Menſch nicht
auch die hoͤhere Pflicht, ſich auf Erden auszumauſern
und die ſchaͤbigen Fluͤgel zu putzen zum letzten großen
Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht
wie ein Wirthshaus an der breiten Landſtraße liegt,
ſondern treu und ernſtlich und mit ganzer ungetheilter
Seele erſtuͤrmt ſeyn will. Ja, ich habe ſchon oft
nachgedacht uͤber den Grund dieſer zaͤrtlichen Liebe ſo
Vieler zum Staatsdienſt. Hunger iſt es nicht immer,
noch ſeltener Durſt nach Nuͤtzlichkeit. Ich fuͤrchte, es
iſt bei den Meiſten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0015" n="8"/>
          <p>Walter faßte la&#x0364;chelnd die ihm dargebotene Rechte.<lb/>
Was mich eigentlich zwi&#x017F;chen die&#x017F;en Bergen fe&#x017F;tha&#x0364;lt,<lb/>
&#x017F;agte er, das &#x017F;oll&#x017F;t Du ku&#x0364;nftig erfahren. &#x2014; Doch &#x2014;<lb/>
Du mag&#x017F;t immerhin lachen &#x2014; das kann ich außer¬<lb/>
dem ehrlich &#x017F;agen: es wa&#x0364;re mir &#x017F;chwer, ja gewi&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
maaßen unmo&#x0364;glich, den einmal mit Ern&#x017F;t und Lu&#x017F;t<lb/>
begonnenen Ge&#x017F;cha&#x0364;ften zu ent&#x017F;agen, die wie ein &#x017F;tiller<lb/>
klarer Strom in tau&#x017F;end un&#x017F;cheinbaren Nebenarmen<lb/>
das Land befruchten, und mich &#x017F;o von meiner &#x017F;tillen<lb/>
Stube aus in immer wech&#x017F;elndem lebendigen Verkehr<lb/>
mit den entfernte&#x017F;ten Gegenden verbinden.</p><lb/>
          <p>Fortunat &#x017F;ah ihn nachdenklich an. Du mein&#x017F;t es<lb/>
immer brav, &#x017F;agte er nach einer Pau&#x017F;e, darum glaube<lb/>
ich Dir, wo ich Dich auch nicht recht ver&#x017F;tehe. Aber<lb/>
in welchem gra&#x0364;ulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei!<lb/>
Keiner hat Zeit zu le&#x017F;en, zu denken, zu beten. Das<lb/>
nennt man Pflichttreue; als ha&#x0364;tte der Men&#x017F;ch nicht<lb/>
auch die ho&#x0364;here Pflicht, &#x017F;ich auf Erden auszumau&#x017F;ern<lb/>
und die &#x017F;cha&#x0364;bigen Flu&#x0364;gel zu putzen zum letzten großen<lb/>
Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht<lb/>
wie ein Wirthshaus an der breiten Land&#x017F;traße liegt,<lb/>
&#x017F;ondern treu und ern&#x017F;tlich und mit ganzer ungetheilter<lb/>
Seele er&#x017F;tu&#x0364;rmt &#x017F;eyn will. Ja, ich habe &#x017F;chon oft<lb/>
nachgedacht u&#x0364;ber den Grund die&#x017F;er za&#x0364;rtlichen Liebe &#x017F;o<lb/>
Vieler zum Staatsdien&#x017F;t. Hunger i&#x017F;t es nicht immer,<lb/>
noch &#x017F;eltener Dur&#x017F;t nach Nu&#x0364;tzlichkeit. Ich fu&#x0364;rchte, es<lb/>
i&#x017F;t bei den Mei&#x017F;ten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0015] Walter faßte laͤchelnd die ihm dargebotene Rechte. Was mich eigentlich zwiſchen dieſen Bergen feſthaͤlt, ſagte er, das ſollſt Du kuͤnftig erfahren. — Doch — Du magſt immerhin lachen — das kann ich außer¬ dem ehrlich ſagen: es waͤre mir ſchwer, ja gewiſſer¬ maaßen unmoͤglich, den einmal mit Ernſt und Luſt begonnenen Geſchaͤften zu entſagen, die wie ein ſtiller klarer Strom in tauſend unſcheinbaren Nebenarmen das Land befruchten, und mich ſo von meiner ſtillen Stube aus in immer wechſelndem lebendigen Verkehr mit den entfernteſten Gegenden verbinden. Fortunat ſah ihn nachdenklich an. Du meinſt es immer brav, ſagte er nach einer Pauſe, darum glaube ich Dir, wo ich Dich auch nicht recht verſtehe. Aber in welchem graͤulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei! Keiner hat Zeit zu leſen, zu denken, zu beten. Das nennt man Pflichttreue; als haͤtte der Menſch nicht auch die hoͤhere Pflicht, ſich auf Erden auszumauſern und die ſchaͤbigen Fluͤgel zu putzen zum letzten großen Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht wie ein Wirthshaus an der breiten Landſtraße liegt, ſondern treu und ernſtlich und mit ganzer ungetheilter Seele erſtuͤrmt ſeyn will. Ja, ich habe ſchon oft nachgedacht uͤber den Grund dieſer zaͤrtlichen Liebe ſo Vieler zum Staatsdienſt. Hunger iſt es nicht immer, noch ſeltener Durſt nach Nuͤtzlichkeit. Ich fuͤrchte, es iſt bei den Meiſten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/15
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/15>, abgerufen am 21.11.2024.