sie. Friedrich aber sah wohl, daß sie sich dabey gar künstlich sträubte, um nur immer fester gehal¬ ten zu werden, und daß ihre Küsse nicht mehr kin¬ disch waren. Dem Herrn Faber schien sie heute ganz besonders wohlzubehagen, und Friedrich glaubte zu bemerken, daß sie sich einigemal verstoh¬ len und wie im Fluge mit ihm besprach.
Endlich hatte sich nach und nach alles verlohren und die Herrschaften blicken allem im Zimmer zu¬ rück. Faber meinte: sein Kopf sey so voll guter Gedanken, daß er sich jezt nicht niederlegen könne. Das Wetter sey so schön und die Stube so schwül, er wolle daher die Nacht im Freyen zubringen. Damit nahm er Abschied und gieng hinaus. Leon¬ tin lachte ihm ausgelassen nach. Rosa war unter¬ deß in üble Laune gerathen. Die Stube war ihr zu schmutzig und enge, das Stroh zu hart. Sie erklärte, sie könne so unmöglich schlafen, und setzte sich schmollend auf eine Bank hin. Leontin warf sich, ohne ein Wort darauf zu erwiedern, auf das Stroh und war gleich eingeschlafen. Endlich über¬ wand auch bey Rosa die Müdigkeit den Eigen¬ sinn. Sie verließ ihre harte Bank, lachte über sich selbst und legte sich neben ihren Bruder hin.
Friedrich ruhte noch lange wach, den Kopf in die Hand gestützt. Der Mond schien durch das kleine Fenster herein, die Wanduhr pickte einförmig immerfort. Da vernahm er auf einmal draußen, folgenden Gesang:
sie. Friedrich aber ſah wohl, daß ſie ſich dabey gar künſtlich ſträubte, um nur immer feſter gehal¬ ten zu werden, und daß ihre Küſſe nicht mehr kin¬ diſch waren. Dem Herrn Faber ſchien ſie heute ganz beſonders wohlzubehagen, und Friedrich glaubte zu bemerken, daß ſie ſich einigemal verſtoh¬ len und wie im Fluge mit ihm beſprach.
Endlich hatte ſich nach und nach alles verlohren und die Herrſchaften blicken allem im Zimmer zu¬ rück. Faber meinte: ſein Kopf ſey ſo voll guter Gedanken, daß er ſich jezt nicht niederlegen könne. Das Wetter ſey ſo ſchön und die Stube ſo ſchwül, er wolle daher die Nacht im Freyen zubringen. Damit nahm er Abſchied und gieng hinaus. Leon¬ tin lachte ihm ausgelaſſen nach. Roſa war unter¬ deß in üble Laune gerathen. Die Stube war ihr zu ſchmutzig und enge, das Stroh zu hart. Sie erklärte, ſie könne ſo unmöglich ſchlafen, und ſetzte ſich ſchmollend auf eine Bank hin. Leontin warf ſich, ohne ein Wort darauf zu erwiedern, auf das Stroh und war gleich eingeſchlafen. Endlich über¬ wand auch bey Roſa die Müdigkeit den Eigen¬ ſinn. Sie verließ ihre harte Bank, lachte über ſich ſelbſt und legte ſich neben ihren Bruder hin.
Friedrich ruhte noch lange wach, den Kopf in die Hand geſtützt. Der Mond ſchien durch das kleine Fenſter herein, die Wanduhr pickte einförmig immerfort. Da vernahm er auf einmal draußen, folgenden Geſang:
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[85/0091]
sie. Friedrich aber ſah wohl, daß ſie ſich dabey
gar künſtlich ſträubte, um nur immer feſter gehal¬
ten zu werden, und daß ihre Küſſe nicht mehr kin¬
diſch waren. Dem Herrn Faber ſchien ſie heute
ganz beſonders wohlzubehagen, und Friedrich
glaubte zu bemerken, daß ſie ſich einigemal verſtoh¬
len und wie im Fluge mit ihm beſprach.
Endlich hatte ſich nach und nach alles verlohren
und die Herrſchaften blicken allem im Zimmer zu¬
rück. Faber meinte: ſein Kopf ſey ſo voll guter
Gedanken, daß er ſich jezt nicht niederlegen könne.
Das Wetter ſey ſo ſchön und die Stube ſo ſchwül,
er wolle daher die Nacht im Freyen zubringen.
Damit nahm er Abſchied und gieng hinaus. Leon¬
tin lachte ihm ausgelaſſen nach. Roſa war unter¬
deß in üble Laune gerathen. Die Stube war ihr
zu ſchmutzig und enge, das Stroh zu hart. Sie
erklärte, ſie könne ſo unmöglich ſchlafen, und ſetzte
ſich ſchmollend auf eine Bank hin. Leontin warf
ſich, ohne ein Wort darauf zu erwiedern, auf das
Stroh und war gleich eingeſchlafen. Endlich über¬
wand auch bey Roſa die Müdigkeit den Eigen¬
ſinn. Sie verließ ihre harte Bank, lachte über
ſich ſelbſt und legte ſich neben ihren Bruder hin.
Friedrich ruhte noch lange wach, den Kopf
in die Hand geſtützt. Der Mond ſchien durch das
kleine Fenſter herein, die Wanduhr pickte einförmig
immerfort. Da vernahm er auf einmal draußen,
folgenden Geſang:
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/91>, abgerufen am 28.11.2024.
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