endlich erinnert hätte, daß meine Aeltern in Angst kommen würden, wenn ich nicht bald nach Hause gienge. Es war der gehörnte Siegfried, den er las.
Rosa lachte. -- Friedrich fuhr, etwas ge¬ stört, fort:
Ich konnte diese ganze Nacht nicht schlafen, ich dachte immerfort an die schöne Geschichte. Ich be¬ suchte nun das kleine Häuschen fast täglich und der gute Mann gab mir von den ersehnten Büchern mit nach Hause, so viel ich nur wollte. Es war gerade in den ersten Frühlingstagen. Da saß ich denn ein¬ sam im Garten und las die Magelone, Genovefa, die Heymonskinder und viele andere unermüdet der Reihe nach durch. Am liebsten wählte ich dazu meinen Sitz in dem Wipfel eines hohen Birnbau¬ mes, der am Abhange des Gartens stand, von wo ich dann über das Blüthenmeer der niederen Bäu¬ me weit ins Land schauen konnte, oder an schwü¬ len Nachmittagen die dunklen Wetterwolken über den Rand des Waldes langsam auf mich zukommen sah.
Rosa lachte wieder. Friedrich schwieg eine Weile unwillig still. Denn die Erinnerungen aus der Kindheit sind desto empfindlicher und verschäm¬ ter, je tiefer und unverständlicher sie werden, und fürchten sich vor großgewordenen, altklugen Men¬ schen, die sich in ihr wunderbares Spielzeug nicht mehr zu finden wissen. Dann erzählte er weiter:
endlich erinnert hätte, daß meine Aeltern in Angſt kommen würden, wenn ich nicht bald nach Hauſe gienge. Es war der gehörnte Siegfried, den er las.
Roſa lachte. — Friedrich fuhr, etwas ge¬ ſtört, fort:
Ich konnte dieſe ganze Nacht nicht ſchlafen, ich dachte immerfort an die ſchöne Geſchichte. Ich be¬ ſuchte nun das kleine Häuschen faſt täglich und der gute Mann gab mir von den erſehnten Büchern mit nach Hauſe, ſo viel ich nur wollte. Es war gerade in den erſten Frühlingstagen. Da ſaß ich denn ein¬ ſam im Garten und las die Magelone, Genovefa, die Heymonskinder und viele andere unermüdet der Reihe nach durch. Am liebſten wählte ich dazu meinen Sitz in dem Wipfel eines hohen Birnbau¬ mes, der am Abhange des Gartens ſtand, von wo ich dann über das Blüthenmeer der niederen Bäu¬ me weit ins Land ſchauen konnte, oder an ſchwü¬ len Nachmittagen die dunklen Wetterwolken über den Rand des Waldes langſam auf mich zukommen ſah.
Roſa lachte wieder. Friedrich ſchwieg eine Weile unwillig ſtill. Denn die Erinnerungen aus der Kindheit ſind deſto empfindlicher und verſchäm¬ ter, je tiefer und unverſtändlicher ſie werden, und fürchten ſich vor großgewordenen, altklugen Men¬ ſchen, die ſich in ihr wunderbares Spielzeug nicht mehr zu finden wiſſen. Dann erzählte er weiter:
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endlich erinnert hätte, daß meine Aeltern in Angſt
kommen würden, wenn ich nicht bald nach Hauſe
gienge. Es war der gehörnte Siegfried, den er
las.
Roſa lachte. — Friedrich fuhr, etwas ge¬
ſtört, fort:
Ich konnte dieſe ganze Nacht nicht ſchlafen, ich
dachte immerfort an die ſchöne Geſchichte. Ich be¬
ſuchte nun das kleine Häuschen faſt täglich und der
gute Mann gab mir von den erſehnten Büchern mit
nach Hauſe, ſo viel ich nur wollte. Es war gerade
in den erſten Frühlingstagen. Da ſaß ich denn ein¬
ſam im Garten und las die Magelone, Genovefa,
die Heymonskinder und viele andere unermüdet der
Reihe nach durch. Am liebſten wählte ich dazu
meinen Sitz in dem Wipfel eines hohen Birnbau¬
mes, der am Abhange des Gartens ſtand, von wo
ich dann über das Blüthenmeer der niederen Bäu¬
me weit ins Land ſchauen konnte, oder an ſchwü¬
len Nachmittagen die dunklen Wetterwolken über
den Rand des Waldes langſam auf mich zukommen
ſah.
Roſa lachte wieder. Friedrich ſchwieg eine
Weile unwillig ſtill. Denn die Erinnerungen aus
der Kindheit ſind deſto empfindlicher und verſchäm¬
ter, je tiefer und unverſtändlicher ſie werden, und
fürchten ſich vor großgewordenen, altklugen Men¬
ſchen, die ſich in ihr wunderbares Spielzeug nicht
mehr zu finden wiſſen. Dann erzählte er weiter:
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/85>, abgerufen am 27.11.2024.
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