Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Bogenganges Rudolph zu mir. Er war finsterer
als gewöhnlich. Siehst du das Gebirge dort? sag¬
te er, auf die fernen Berge deutend. Drüben liegt
ein viel schöneres Land, ich habe ein einzigesmal
hinuntergeblickt. Er sezte sich ins Gras hin, dann
sagte er in einer Weile wieder: hörst du, wie jezt
in der weiten Stille unten die Ströme und Bäche
rauschen und wunderbarlich locken? Wenn ich so
hinunterstiege in das Gebirge hinein, ich gienge
fort und immer fort, du würdest unterdeß alt, das
Schloß wäre auch verfallen und der Garten hier
lange einsam und wüste. -- Mir fiel bey diesen
Worten mein Traum wieder ein, ich sah ihn an,
und auch sein Gesicht kam mir in dem Augenblicke
gerade so vor, wie es mir im Traume immer er¬
schien. Eine niegefühlte Angst überwältigte mich
und ich fieng an zu weinen. Weine nur nicht!
sagte er hart und wollte mich schlagen. Unterdeß
kam Angelina mit neuem Spielzeuge lustig auf uns
zugesprungen und Rudolph entfernte sich wieder in
den dunkeln Bogengang. Ich spielte nun mit dem
munteren Mädchen auf dem Rasenplatze vor dem
Schlosse und vergaß darüber alles das vorhergegan¬
gene. Endlich trieb uns der Hofmeister zu Bette.
Ich erinnere mich nicht, daß mir als Kind irgend
etwas widerwärtiger gewesen wäre, als das zeitige
Schlafengehen, wenn alles draussen noch schallte
und schwärmte und meine ganze Seele noch so wach
war. Dieser Abend war besonders schön und
schwül. Ich legte mich unruhig nieder. Die Bäu¬
me rauschten durch das offene Fenster herein, die

Bogenganges Rudolph zu mir. Er war finſterer
als gewöhnlich. Siehſt du das Gebirge dort? ſag¬
te er, auf die fernen Berge deutend. Drüben liegt
ein viel ſchöneres Land, ich habe ein einzigesmal
hinuntergeblickt. Er ſezte ſich ins Gras hin, dann
ſagte er in einer Weile wieder: hörſt du, wie jezt
in der weiten Stille unten die Ströme und Bäche
rauſchen und wunderbarlich locken? Wenn ich ſo
hinunterſtiege in das Gebirge hinein, ich gienge
fort und immer fort, du würdeſt unterdeß alt, das
Schloß wäre auch verfallen und der Garten hier
lange einſam und wüſte. — Mir fiel bey dieſen
Worten mein Traum wieder ein, ich ſah ihn an,
und auch ſein Geſicht kam mir in dem Augenblicke
gerade ſo vor, wie es mir im Traume immer er¬
ſchien. Eine niegefühlte Angſt überwältigte mich
und ich fieng an zu weinen. Weine nur nicht!
ſagte er hart und wollte mich ſchlagen. Unterdeß
kam Angelina mit neuem Spielzeuge luſtig auf uns
zugeſprungen und Rudolph entfernte ſich wieder in
den dunkeln Bogengang. Ich ſpielte nun mit dem
munteren Mädchen auf dem Raſenplatze vor dem
Schloſſe und vergaß darüber alles das vorhergegan¬
gene. Endlich trieb uns der Hofmeiſter zu Bette.
Ich erinnere mich nicht, daß mir als Kind irgend
etwas widerwärtiger geweſen wäre, als das zeitige
Schlafengehen, wenn alles drauſſen noch ſchallte
und ſchwärmte und meine ganze Seele noch ſo wach
war. Dieſer Abend war beſonders ſchön und
ſchwül. Ich legte mich unruhig nieder. Die Bäu¬
me rauſchten durch das offene Fenſter herein, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0081" n="75"/>
Bogenganges Rudolph zu mir. Er war fin&#x017F;terer<lb/>
als gewöhnlich. Sieh&#x017F;t du das Gebirge dort? &#x017F;ag¬<lb/>
te er, auf die fernen Berge deutend. Drüben liegt<lb/>
ein viel &#x017F;chöneres Land, ich habe ein einzigesmal<lb/>
hinuntergeblickt. Er &#x017F;ezte &#x017F;ich ins Gras hin, dann<lb/>
&#x017F;agte er in einer Weile wieder: hör&#x017F;t du, wie jezt<lb/>
in der weiten Stille unten die Ströme und Bäche<lb/>
rau&#x017F;chen und wunderbarlich locken? Wenn ich &#x017F;o<lb/>
hinunter&#x017F;tiege in das Gebirge hinein, ich gienge<lb/>
fort und immer fort, du würde&#x017F;t unterdeß alt, das<lb/>
Schloß wäre auch verfallen und der Garten hier<lb/>
lange ein&#x017F;am und wü&#x017F;te. &#x2014; Mir fiel bey die&#x017F;en<lb/>
Worten mein Traum wieder ein, ich &#x017F;ah ihn an,<lb/>
und auch &#x017F;ein Ge&#x017F;icht kam mir in dem Augenblicke<lb/>
gerade &#x017F;o vor, wie es mir im Traume immer er¬<lb/>
&#x017F;chien. Eine niegefühlte Ang&#x017F;t überwältigte mich<lb/>
und ich fieng an zu weinen. Weine nur nicht!<lb/>
&#x017F;agte er hart und wollte mich &#x017F;chlagen. Unterdeß<lb/>
kam Angelina mit neuem Spielzeuge lu&#x017F;tig auf uns<lb/>
zuge&#x017F;prungen und Rudolph entfernte &#x017F;ich wieder in<lb/>
den dunkeln Bogengang. Ich &#x017F;pielte nun mit dem<lb/>
munteren Mädchen auf dem Ra&#x017F;enplatze vor dem<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e und vergaß darüber alles das vorhergegan¬<lb/>
gene. Endlich trieb uns der Hofmei&#x017F;ter zu Bette.<lb/>
Ich erinnere mich nicht, daß mir als Kind irgend<lb/>
etwas widerwärtiger gewe&#x017F;en wäre, als das zeitige<lb/>
Schlafengehen, wenn alles drau&#x017F;&#x017F;en noch &#x017F;challte<lb/>
und &#x017F;chwärmte und meine ganze Seele noch &#x017F;o wach<lb/>
war. Die&#x017F;er Abend war be&#x017F;onders &#x017F;chön und<lb/>
&#x017F;chwül. Ich legte mich unruhig nieder. Die Bäu¬<lb/>
me rau&#x017F;chten durch das offene Fen&#x017F;ter herein, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0081] Bogenganges Rudolph zu mir. Er war finſterer als gewöhnlich. Siehſt du das Gebirge dort? ſag¬ te er, auf die fernen Berge deutend. Drüben liegt ein viel ſchöneres Land, ich habe ein einzigesmal hinuntergeblickt. Er ſezte ſich ins Gras hin, dann ſagte er in einer Weile wieder: hörſt du, wie jezt in der weiten Stille unten die Ströme und Bäche rauſchen und wunderbarlich locken? Wenn ich ſo hinunterſtiege in das Gebirge hinein, ich gienge fort und immer fort, du würdeſt unterdeß alt, das Schloß wäre auch verfallen und der Garten hier lange einſam und wüſte. — Mir fiel bey dieſen Worten mein Traum wieder ein, ich ſah ihn an, und auch ſein Geſicht kam mir in dem Augenblicke gerade ſo vor, wie es mir im Traume immer er¬ ſchien. Eine niegefühlte Angſt überwältigte mich und ich fieng an zu weinen. Weine nur nicht! ſagte er hart und wollte mich ſchlagen. Unterdeß kam Angelina mit neuem Spielzeuge luſtig auf uns zugeſprungen und Rudolph entfernte ſich wieder in den dunkeln Bogengang. Ich ſpielte nun mit dem munteren Mädchen auf dem Raſenplatze vor dem Schloſſe und vergaß darüber alles das vorhergegan¬ gene. Endlich trieb uns der Hofmeiſter zu Bette. Ich erinnere mich nicht, daß mir als Kind irgend etwas widerwärtiger geweſen wäre, als das zeitige Schlafengehen, wenn alles drauſſen noch ſchallte und ſchwärmte und meine ganze Seele noch ſo wach war. Dieſer Abend war beſonders ſchön und ſchwül. Ich legte mich unruhig nieder. Die Bäu¬ me rauſchten durch das offene Fenſter herein, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/81
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/81>, abgerufen am 27.11.2024.