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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Alten, die sie darüber belauscht hatten, gar tüppisch
mit harten Verweisen drein, und seitdem, erinnere
ich mich, sang sie daß Lied heimlich noch viel lieber.

So lebten wir lange Zeit in Frieden nebenein¬
ander, und es fiel mir gar nicht ein, daß es je¬
mals anders werden könnte, nur daß Rudolph im¬
mer finsterer wurde, je mehr er heranwuchs. Um
diese Zeit hatte ich mehreremale sehr schwere und
furchtbare Träume. Ich sah nemlich immer meinen
Bruder Rudolph in einer Rüstung, wie sie sich auf
einem alten Ritterbilde auf unserem Vorsaale be¬
fand, durch ein Meer von durcheinanderwogenden
ungeheuren Wolken schreiten, wobey er sich mit ei¬
nem langen Schwerte rechts und links Bahn zu
hauen schien. So oft er mit dem Schwerte die
Wolken berührte, gab es eine Menge Funken, die
mich mit ihren vielfarbigen Lichtern blendeten, und
bey jedem solchen Leuchten kam mir auch Rudolphs
Gesicht plötzlich blaß und ganz verändert vor. Wäh¬
rend ich mich nun mit den Augen so recht in den
Wolkenzug vertiefte, bemerkte ich mit Verwunde¬
rung, daß es eigentlich keine Wolken waren, son¬
dern sich alles nach und nach in ein langes, dunk¬
les, seltsamgeformtes Gebirg verwandelte, vor dem
mir schauderte, und ich konnte gar nicht begreifen,
wie sich Rudolph dort so allein nicht fürchtete.
Seitwärts von dem Gebirge sah ich eine weite
Landschaft, deren unbeschreibliche Schönheit und
wunderbaren Farbenschimmer ich niemals vergessen
habe. Ein großer Strom gieng mitten hindurch bis
in eine unabsehbare duftige Ferne, wo er sich mit

Alten, die ſie darüber belauſcht hatten, gar tüppiſch
mit harten Verweiſen drein, und ſeitdem, erinnere
ich mich, ſang ſie daß Lied heimlich noch viel lieber.

So lebten wir lange Zeit in Frieden nebenein¬
ander, und es fiel mir gar nicht ein, daß es je¬
mals anders werden könnte, nur daß Rudolph im¬
mer finſterer wurde, je mehr er heranwuchs. Um
dieſe Zeit hatte ich mehreremale ſehr ſchwere und
furchtbare Träume. Ich ſah nemlich immer meinen
Bruder Rudolph in einer Rüſtung, wie ſie ſich auf
einem alten Ritterbilde auf unſerem Vorſaale be¬
fand, durch ein Meer von durcheinanderwogenden
ungeheuren Wolken ſchreiten, wobey er ſich mit ei¬
nem langen Schwerte rechts und links Bahn zu
hauen ſchien. So oft er mit dem Schwerte die
Wolken berührte, gab es eine Menge Funken, die
mich mit ihren vielfarbigen Lichtern blendeten, und
bey jedem ſolchen Leuchten kam mir auch Rudolphs
Geſicht plötzlich blaß und ganz verändert vor. Wäh¬
rend ich mich nun mit den Augen ſo recht in den
Wolkenzug vertiefte, bemerkte ich mit Verwunde¬
rung, daß es eigentlich keine Wolken waren, ſon¬
dern ſich alles nach und nach in ein langes, dunk¬
les, ſeltſamgeformtes Gebirg verwandelte, vor dem
mir ſchauderte, und ich konnte gar nicht begreifen,
wie ſich Rudolph dort ſo allein nicht fürchtete.
Seitwärts von dem Gebirge ſah ich eine weite
Landſchaft, deren unbeſchreibliche Schönheit und
wunderbaren Farbenſchimmer ich niemals vergeſſen
habe. Ein großer Strom gieng mitten hindurch bis
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[73/0079] Alten, die ſie darüber belauſcht hatten, gar tüppiſch mit harten Verweiſen drein, und ſeitdem, erinnere ich mich, ſang ſie daß Lied heimlich noch viel lieber. So lebten wir lange Zeit in Frieden nebenein¬ ander, und es fiel mir gar nicht ein, daß es je¬ mals anders werden könnte, nur daß Rudolph im¬ mer finſterer wurde, je mehr er heranwuchs. Um dieſe Zeit hatte ich mehreremale ſehr ſchwere und furchtbare Träume. Ich ſah nemlich immer meinen Bruder Rudolph in einer Rüſtung, wie ſie ſich auf einem alten Ritterbilde auf unſerem Vorſaale be¬ fand, durch ein Meer von durcheinanderwogenden ungeheuren Wolken ſchreiten, wobey er ſich mit ei¬ nem langen Schwerte rechts und links Bahn zu hauen ſchien. So oft er mit dem Schwerte die Wolken berührte, gab es eine Menge Funken, die mich mit ihren vielfarbigen Lichtern blendeten, und bey jedem ſolchen Leuchten kam mir auch Rudolphs Geſicht plötzlich blaß und ganz verändert vor. Wäh¬ rend ich mich nun mit den Augen ſo recht in den Wolkenzug vertiefte, bemerkte ich mit Verwunde¬ rung, daß es eigentlich keine Wolken waren, ſon¬ dern ſich alles nach und nach in ein langes, dunk¬ les, ſeltſamgeformtes Gebirg verwandelte, vor dem mir ſchauderte, und ich konnte gar nicht begreifen, wie ſich Rudolph dort ſo allein nicht fürchtete. Seitwärts von dem Gebirge ſah ich eine weite Landſchaft, deren unbeſchreibliche Schönheit und wunderbaren Farbenſchimmer ich niemals vergeſſen habe. Ein großer Strom gieng mitten hindurch bis in eine unabſehbare duftige Ferne, wo er ſich mit

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/79>, abgerufen am 27.11.2024.