Faber sezte von frischem an: Es war einmal ein Ritter, der lebte tief im Walde auf seiner alten Burg in geistlichen Betrachtungen und strengen Bu߬ übungen. Kein Fremder besuchte den frommen Rit¬ ter, alle Wege zu seiner Burg waren lange mit hohem Grase überwachsen und nur das Glöcklein, das er bey seinen Gebethen von Zeit zu Zeit zog, unterbrach die Stille und klang in hellen Nächten weit über die Wälder weg. Der Ritter hatte ein junges Töchterlein, die machte ihm viel Kummer, denn sie war ganz anderer Sinnesart als ihr Va¬ ter und all ihr Trachten gieng nur auf weltliche Dinge. Wenn sie Abends am Spinnrocken saß, und er ihr aus seinen alten Büchern die wunderba¬ ren Geschichten von den heiligen Märtyrern vorlas, dachte sie immer heimlich bey sich: das waren wohl rechte Thoren, und hielt sich für weit klüger, als ihr alter Vater, der alle die Wunder glaubte. Oft, wenn ihr Vater weg war, blätterte sie in den Bü¬ chern und mahlte den Heiligen, die darin abgebil¬ det waren, große Schnurrbärte -- Rosa lachte hierbey laut auf. -- Was lachst du? fragte Leontin spitzig und Faber fuhr in seiner Erzählung fort: Sie war sehr schön und klüger als alle die anderen Kinder in ihrem Alter, weswegen sie sich auch im¬ mer mit ihnen zu spielen schämte, und wer mit ihr sprach, glaubte eine erwachsene Person reden zu hören, so gescheid und künstlich waren alle ihre Worte gesezt. Dabey gieng sie bey Tag und Nacht ganz allein im Walde herum, ohne sich zu fürch¬ ten, und lachte immer den alten Burgvogt aus,
Faber ſezte von friſchem an: Es war einmal ein Ritter, der lebte tief im Walde auf ſeiner alten Burg in geiſtlichen Betrachtungen und ſtrengen Bu߬ übungen. Kein Fremder beſuchte den frommen Rit¬ ter, alle Wege zu ſeiner Burg waren lange mit hohem Graſe überwachſen und nur das Glöcklein, das er bey ſeinen Gebethen von Zeit zu Zeit zog, unterbrach die Stille und klang in hellen Nächten weit über die Wälder weg. Der Ritter hatte ein junges Töchterlein, die machte ihm viel Kummer, denn ſie war ganz anderer Sinnesart als ihr Va¬ ter und all ihr Trachten gieng nur auf weltliche Dinge. Wenn ſie Abends am Spinnrocken ſaß, und er ihr aus ſeinen alten Büchern die wunderba¬ ren Geſchichten von den heiligen Märtyrern vorlas, dachte ſie immer heimlich bey ſich: das waren wohl rechte Thoren, und hielt ſich für weit klüger, als ihr alter Vater, der alle die Wunder glaubte. Oft, wenn ihr Vater weg war, blätterte ſie in den Bü¬ chern und mahlte den Heiligen, die darin abgebil¬ det waren, große Schnurrbärte — Roſa lachte hierbey laut auf. — Was lachſt du? fragte Leontin ſpitzig und Faber fuhr in ſeiner Erzählung fort: Sie war ſehr ſchön und klüger als alle die anderen Kinder in ihrem Alter, weswegen ſie ſich auch im¬ mer mit ihnen zu ſpielen ſchämte, und wer mit ihr ſprach, glaubte eine erwachſene Perſon reden zu hören, ſo geſcheid und künſtlich waren alle ihre Worte geſezt. Dabey gieng ſie bey Tag und Nacht ganz allein im Walde herum, ohne ſich zu fürch¬ ten, und lachte immer den alten Burgvogt aus,
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Faber ſezte von friſchem an: Es war einmal ein
Ritter, der lebte tief im Walde auf ſeiner alten
Burg in geiſtlichen Betrachtungen und ſtrengen Bu߬
übungen. Kein Fremder beſuchte den frommen Rit¬
ter, alle Wege zu ſeiner Burg waren lange mit
hohem Graſe überwachſen und nur das Glöcklein,
das er bey ſeinen Gebethen von Zeit zu Zeit zog,
unterbrach die Stille und klang in hellen Nächten
weit über die Wälder weg. Der Ritter hatte ein
junges Töchterlein, die machte ihm viel Kummer,
denn ſie war ganz anderer Sinnesart als ihr Va¬
ter und all ihr Trachten gieng nur auf weltliche
Dinge. Wenn ſie Abends am Spinnrocken ſaß,
und er ihr aus ſeinen alten Büchern die wunderba¬
ren Geſchichten von den heiligen Märtyrern vorlas,
dachte ſie immer heimlich bey ſich: das waren wohl
rechte Thoren, und hielt ſich für weit klüger, als
ihr alter Vater, der alle die Wunder glaubte. Oft,
wenn ihr Vater weg war, blätterte ſie in den Bü¬
chern und mahlte den Heiligen, die darin abgebil¬
det waren, große Schnurrbärte — Roſa lachte
hierbey laut auf. — Was lachſt du? fragte Leontin
ſpitzig und Faber fuhr in ſeiner Erzählung fort:
Sie war ſehr ſchön und klüger als alle die anderen
Kinder in ihrem Alter, weswegen ſie ſich auch im¬
mer mit ihnen zu ſpielen ſchämte, und wer mit ihr
ſprach, glaubte eine erwachſene Perſon reden zu
hören, ſo geſcheid und künſtlich waren alle ihre
Worte geſezt. Dabey gieng ſie bey Tag und Nacht
ganz allein im Walde herum, ohne ſich zu fürch¬
ten, und lachte immer den alten Burgvogt aus,
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/66>, abgerufen am 25.11.2024.
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