ihm herüber, oder er fand ihn frühmorgens auf der Mauer über der Guitarre eingeschlafen. Leon¬ tin nannte den Knaben eine wunderbare Laute aus alter Zeit, die jezt niemand mehr zu spielen ver¬ stehe.
Eines Abends, da Leontin wieder auf einem seiner geheimnißvollen Ausflüge ungewöhnlich lange ausblieb, sassen Friedrich und Faber, der sich nach geschehener Tagesarbeit einen fröhlichen Feyer¬ abend nicht nehmen ließ, auf der Wiese um den runden Tisch. Der Mond stand schon über dem dunkeln Thurme des Schlosses. Da hörten sie plötz¬ lich ein Geräusch durch das Dickicht brechen und Leontin stürzte auf seinem Pferde, wie ein gejagtes Wild, aus dem Walde hervor. Todtenbleich, athemlos, und hin und wieder von den Aesten blu¬ tig gerissen, kam er sogleich zu ihnen an den Tisch und trank hastig mehrere Gläser Wein nacheinander aus. Friedrich'n erschütterte die schöne, wüste Gestalt. Leontin lachte laut auf, da er bemerkte, daß ihn alle so verwundert ansahen. Faber drang neugierig in ihn, ihnen zu erzählen, was ihm be¬ gegnet sey. Er erzählte aber nichts, sondern sagte statt aller Antwort: ich reise fort in's Gebirge, wollt ihr mit? -- Faber sagte überrascht und un¬ entschlossen, daß ihm jezt jede Störung unwillkom¬ men sey, da er so eben an dem angefangenen gro¬ ßen Gedichte arbeite, schlug aber endlich ein. Frie¬ drich schwieg still. Leontin, der ihm wohl ansah, was er meyne, entband ihn seines alten Verspre¬
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ihm herüber, oder er fand ihn frühmorgens auf der Mauer über der Guitarre eingeſchlafen. Leon¬ tin nannte den Knaben eine wunderbare Laute aus alter Zeit, die jezt niemand mehr zu ſpielen ver¬ ſtehe.
Eines Abends, da Leontin wieder auf einem ſeiner geheimnißvollen Ausflüge ungewöhnlich lange ausblieb, ſaſſen Friedrich und Faber, der ſich nach geſchehener Tagesarbeit einen fröhlichen Feyer¬ abend nicht nehmen ließ, auf der Wieſe um den runden Tiſch. Der Mond ſtand ſchon über dem dunkeln Thurme des Schloſſes. Da hörten ſie plötz¬ lich ein Geräuſch durch das Dickicht brechen und Leontin ſtürzte auf ſeinem Pferde, wie ein gejagtes Wild, aus dem Walde hervor. Todtenbleich, athemlos, und hin und wieder von den Aeſten blu¬ tig geriſſen, kam er ſogleich zu ihnen an den Tiſch und trank haſtig mehrere Gläſer Wein nacheinander aus. Friedrich'n erſchütterte die ſchöne, wüſte Geſtalt. Leontin lachte laut auf, da er bemerkte, daß ihn alle ſo verwundert anſahen. Faber drang neugierig in ihn, ihnen zu erzählen, was ihm be¬ gegnet ſey. Er erzählte aber nichts, ſondern ſagte ſtatt aller Antwort: ich reiſe fort in's Gebirge, wollt ihr mit? — Faber ſagte überraſcht und un¬ entſchloſſen, daß ihm jezt jede Störung unwillkom¬ men ſey, da er ſo eben an dem angefangenen gro¬ ßen Gedichte arbeite, ſchlug aber endlich ein. Frie¬ drich ſchwieg ſtill. Leontin, der ihm wohl anſah, was er meyne, entband ihn ſeines alten Verſpre¬
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ihm herüber, oder er fand ihn frühmorgens auf
der Mauer über der Guitarre eingeſchlafen. Leon¬
tin nannte den Knaben eine wunderbare Laute aus
alter Zeit, die jezt niemand mehr zu ſpielen ver¬
ſtehe.
Eines Abends, da Leontin wieder auf einem
ſeiner geheimnißvollen Ausflüge ungewöhnlich lange
ausblieb, ſaſſen Friedrich und Faber, der ſich
nach geſchehener Tagesarbeit einen fröhlichen Feyer¬
abend nicht nehmen ließ, auf der Wieſe um den
runden Tiſch. Der Mond ſtand ſchon über dem
dunkeln Thurme des Schloſſes. Da hörten ſie plötz¬
lich ein Geräuſch durch das Dickicht brechen und
Leontin ſtürzte auf ſeinem Pferde, wie ein gejagtes
Wild, aus dem Walde hervor. Todtenbleich,
athemlos, und hin und wieder von den Aeſten blu¬
tig geriſſen, kam er ſogleich zu ihnen an den Tiſch
und trank haſtig mehrere Gläſer Wein nacheinander
aus. Friedrich'n erſchütterte die ſchöne, wüſte
Geſtalt. Leontin lachte laut auf, da er bemerkte,
daß ihn alle ſo verwundert anſahen. Faber drang
neugierig in ihn, ihnen zu erzählen, was ihm be¬
gegnet ſey. Er erzählte aber nichts, ſondern ſagte
ſtatt aller Antwort: ich reiſe fort in's Gebirge,
wollt ihr mit? — Faber ſagte überraſcht und un¬
entſchloſſen, daß ihm jezt jede Störung unwillkom¬
men ſey, da er ſo eben an dem angefangenen gro¬
ßen Gedichte arbeite, ſchlug aber endlich ein. Frie¬
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was er meyne, entband ihn ſeines alten Verſpre¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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