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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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haft ehrlich, aufrichtig und ritterlich mit ihr mey¬
nen? Bis in den Tod verhaßt sind mir besonders
jene ewigen Klagen, die mit weinerlichen Sonetten
die alte schöne Zeit zurückwinseln wollen, und, wie
ein Strohfeuer, weder die Schlechten verbrennen,
noch die Guten erleuchten und erwärmen. Denn
wie wenigen möchte doch das Herz zerspringen,
wenn alles so dumm geht, und habe ich nicht den
Muth, besser zu seyn, als meine Zeit, so mag ich
zerknirscht das Schimpfen lassen, denn keine Zeit ist
durchaus schlecht. Die heiligen Märtyrer, wie sie,
laut ihren Erlöser bekennend, mit aufgehobenen Ar¬
men in die Todesflammen sprangen -- das sind des
Dichters ächte Brüder und er soll eben so fürstlich
denken von sich, denn so wie sie den ewigen Geist
Gottes auf Erden durch Thaten ausdrückten, so soll
er ihn aufrichtig in einer verwitterten, feindseligen
Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen
verkünden und verherrlichen. Die Menge, nur auf
weltliche Dinge erpicht, zerstreut und träge, sizt
gebückt und blind draussen im warmen Sonnenschei¬
ne und langt rührend nach dem ewigen Lichte, das
sie niemals erblickt. Der Dichter hat einsam die
schönen Augen offen; mit Demuth und Freudigkeit
betrachtet er, selber erstaunt, Himmel und Erde,
und das Herz geht ihm auf bey der überschwengli¬
chen Aussicht, und so besingt er die Welt, die,
wie Memnons Bild, voll stummer Bedeutung, nur
dann durch und durch erklingt wenn sie die Aurora
eines dichterischen Gemüthes mit ihren verwandten
Strahlen berührt. -- Leontin fiel hier dem Gra¬

haft ehrlich, aufrichtig und ritterlich mit ihr mey¬
nen? Bis in den Tod verhaßt ſind mir beſonders
jene ewigen Klagen, die mit weinerlichen Sonetten
die alte ſchöne Zeit zurückwinſeln wollen, und, wie
ein Strohfeuer, weder die Schlechten verbrennen,
noch die Guten erleuchten und erwärmen. Denn
wie wenigen möchte doch das Herz zerſpringen,
wenn alles ſo dumm geht, und habe ich nicht den
Muth, beſſer zu ſeyn, als meine Zeit, ſo mag ich
zerknirſcht das Schimpfen laſſen, denn keine Zeit iſt
durchaus ſchlecht. Die heiligen Märtyrer, wie ſie,
laut ihren Erlöſer bekennend, mit aufgehobenen Ar¬
men in die Todesflammen ſprangen — das ſind des
Dichters ächte Brüder und er ſoll eben ſo fürſtlich
denken von ſich, denn ſo wie ſie den ewigen Geiſt
Gottes auf Erden durch Thaten ausdrückten, ſo ſoll
er ihn aufrichtig in einer verwitterten, feindſeligen
Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen
verkünden und verherrlichen. Die Menge, nur auf
weltliche Dinge erpicht, zerſtreut und träge, ſizt
gebückt und blind drauſſen im warmen Sonnenſchei¬
ne und langt rührend nach dem ewigen Lichte, das
ſie niemals erblickt. Der Dichter hat einſam die
ſchönen Augen offen; mit Demuth und Freudigkeit
betrachtet er, ſelber erſtaunt, Himmel und Erde,
und das Herz geht ihm auf bey der überſchwengli¬
chen Ausſicht, und ſo beſingt er die Welt, die,
wie Memnons Bild, voll ſtummer Bedeutung, nur
dann durch und durch erklingt wenn ſie die Aurora
eines dichteriſchen Gemüthes mit ihren verwandten
Strahlen berührt. — Leontin fiel hier dem Gra¬

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[45/0051] haft ehrlich, aufrichtig und ritterlich mit ihr mey¬ nen? Bis in den Tod verhaßt ſind mir beſonders jene ewigen Klagen, die mit weinerlichen Sonetten die alte ſchöne Zeit zurückwinſeln wollen, und, wie ein Strohfeuer, weder die Schlechten verbrennen, noch die Guten erleuchten und erwärmen. Denn wie wenigen möchte doch das Herz zerſpringen, wenn alles ſo dumm geht, und habe ich nicht den Muth, beſſer zu ſeyn, als meine Zeit, ſo mag ich zerknirſcht das Schimpfen laſſen, denn keine Zeit iſt durchaus ſchlecht. Die heiligen Märtyrer, wie ſie, laut ihren Erlöſer bekennend, mit aufgehobenen Ar¬ men in die Todesflammen ſprangen — das ſind des Dichters ächte Brüder und er ſoll eben ſo fürſtlich denken von ſich, denn ſo wie ſie den ewigen Geiſt Gottes auf Erden durch Thaten ausdrückten, ſo ſoll er ihn aufrichtig in einer verwitterten, feindſeligen Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen verkünden und verherrlichen. Die Menge, nur auf weltliche Dinge erpicht, zerſtreut und träge, ſizt gebückt und blind drauſſen im warmen Sonnenſchei¬ ne und langt rührend nach dem ewigen Lichte, das ſie niemals erblickt. Der Dichter hat einſam die ſchönen Augen offen; mit Demuth und Freudigkeit betrachtet er, ſelber erſtaunt, Himmel und Erde, und das Herz geht ihm auf bey der überſchwengli¬ chen Ausſicht, und ſo beſingt er die Welt, die, wie Memnons Bild, voll ſtummer Bedeutung, nur dann durch und durch erklingt wenn ſie die Aurora eines dichteriſchen Gemüthes mit ihren verwandten Strahlen berührt. — Leontin fiel hier dem Gra¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/51>, abgerufen am 27.11.2024.