wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar so leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt, aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬ len Jahren schon in Lust empfangen, dann wie in Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt und gebildet wird, ehe es aus seinem stillen Hause das fröhliche Licht des Tages begrüßt. -- Das ist ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin munter, wäre ich so eine schwangere Frau, als Sie da sagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine, vor dem Spiegel über mich selber zu Tode, eh' ich mit dem ersten Verse niederkäme. -- Hier erblickte er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktasche hervorragte; eines davon war: " an die Deut¬ schen," überschrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬ zulesen. Faber zog es heraus und las es. Das Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬ schen Ehre. Leontin sowohl als Friedrich er¬ staunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe der Romanze und fühlten sich wahrhaft erbaut. Wer sollte es glauben, sagte Leontin, daß Herr Faber diese Romanze zu eben der Zeit verfertiget hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die Franzosen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las ihnen ein Gedicht vor, in welchem er sich selber mit höchst komischer Laune in diesem seinen feigherzigen Widerspruche darstellte, worin aber mitten durch die lustigen Scherze ein tiefer Ernst wie mit gro¬ ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬
wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar ſo leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt, aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬ len Jahren ſchon in Luſt empfangen, dann wie in Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt und gebildet wird, ehe es aus ſeinem ſtillen Hauſe das fröhliche Licht des Tages begrüßt. — Das iſt ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin munter, wäre ich ſo eine ſchwangere Frau, als Sie da ſagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine, vor dem Spiegel über mich ſelber zu Tode, eh' ich mit dem erſten Verſe niederkäme. — Hier erblickte er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktaſche hervorragte; eines davon war: „ an die Deut¬ ſchen,“ überſchrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬ zuleſen. Faber zog es heraus und las es. Das Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬ ſchen Ehre. Leontin ſowohl als Friedrich er¬ ſtaunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe der Romanze und fühlten ſich wahrhaft erbaut. Wer ſollte es glauben, ſagte Leontin, daß Herr Faber dieſe Romanze zu eben der Zeit verfertiget hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die Franzoſen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las ihnen ein Gedicht vor, in welchem er ſich ſelber mit höchſt komiſcher Laune in dieſem ſeinen feigherzigen Widerſpruche darſtellte, worin aber mitten durch die luſtigen Scherze ein tiefer Ernſt wie mit gro¬ ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0049"n="43"/>
wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar ſo<lb/>
leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt,<lb/>
aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬<lb/>
len Jahren ſchon in Luſt empfangen, dann wie in<lb/>
Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt<lb/>
und gebildet wird, ehe es aus ſeinem ſtillen Hauſe<lb/>
das fröhliche Licht des Tages begrüßt. — Das iſt<lb/>
ein langweiliges Kind, unterbrach ihn <hirendition="#g">Leontin</hi><lb/>
munter, wäre ich ſo eine ſchwangere Frau, als Sie<lb/>
da ſagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine,<lb/>
vor dem Spiegel über mich ſelber zu Tode, eh' ich<lb/>
mit dem erſten Verſe niederkäme. — Hier erblickte<lb/>
er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktaſche<lb/>
hervorragte; eines davon war: „ an die Deut¬<lb/>ſchen,“ überſchrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬<lb/>
zuleſen. <hirendition="#g">Faber</hi> zog es heraus und las es. Das<lb/>
Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum<lb/>
Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬<lb/>ſchen Ehre. <hirendition="#g">Leontin</hi>ſowohl als <hirendition="#g">Friedrich</hi> er¬<lb/>ſtaunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe<lb/>
der Romanze und fühlten ſich wahrhaft erbaut.<lb/>
Wer ſollte es glauben, ſagte <hirendition="#g">Leontin</hi>, daß Herr<lb/><hirendition="#g">Faber</hi> dieſe Romanze zu eben der Zeit verfertiget<lb/>
hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die<lb/>
Franzoſen zu Felde zieh'n zu dürfen. <hirendition="#g">Faber</hi><lb/>
nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las<lb/>
ihnen ein Gedicht vor, in welchem er ſich ſelber mit<lb/>
höchſt komiſcher Laune in dieſem ſeinen feigherzigen<lb/>
Widerſpruche darſtellte, worin aber mitten durch<lb/>
die luſtigen Scherze ein tiefer Ernſt wie mit gro¬<lb/>
ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[43/0049]
wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar ſo
leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt,
aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬
len Jahren ſchon in Luſt empfangen, dann wie in
Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt
und gebildet wird, ehe es aus ſeinem ſtillen Hauſe
das fröhliche Licht des Tages begrüßt. — Das iſt
ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin
munter, wäre ich ſo eine ſchwangere Frau, als Sie
da ſagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine,
vor dem Spiegel über mich ſelber zu Tode, eh' ich
mit dem erſten Verſe niederkäme. — Hier erblickte
er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktaſche
hervorragte; eines davon war: „ an die Deut¬
ſchen,“ überſchrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬
zuleſen. Faber zog es heraus und las es. Das
Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum
Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬
ſchen Ehre. Leontin ſowohl als Friedrich er¬
ſtaunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe
der Romanze und fühlten ſich wahrhaft erbaut.
Wer ſollte es glauben, ſagte Leontin, daß Herr
Faber dieſe Romanze zu eben der Zeit verfertiget
hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die
Franzoſen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber
nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las
ihnen ein Gedicht vor, in welchem er ſich ſelber mit
höchſt komiſcher Laune in dieſem ſeinen feigherzigen
Widerſpruche darſtellte, worin aber mitten durch
die luſtigen Scherze ein tiefer Ernſt wie mit gro¬
ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/49>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.