Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

auflachen, was sie über diese unerwartete Wendung
der Sache für Gesichter schnitten. Doch schien ihnen
das zu gefallen, sie betrachteten mich als einen wür¬
digen Kumpan, und fuhrten mich freundschaftlich
tiefer in den Wald hinein.

Wir kamen bald auf einen freyen, einsamen
Platz, wo bärtige Männer, Weiber und Kinder
um ein Feldfeuer herumlagen, und ich bemerkte nun
wohl, daß ich unter einen Zigeunerhaufen gerathen
war. Da wurde geschlachtet, geschunden, gekocht
und geschmort, alle sprachen und sangen ihr Kau¬
derwelsch verworren durcheinander, dabey regnete
und stürmte es immerfort; es war eine wahre Wal¬
burgisnacht. Mir war recht kannibalisch wohl. Ue¬
brigens war es, ausser daß sie alle ausgemachte
Spitzbuben waren, eine recht gute, unterhaltende
Gesellschaft. Sie gaben mir zu essen, Brandtwein
zu trinken, tanzten, musizirten und kümmerten sich
um die ganze Welt nicht.

Mitten in dem Haufen bemerkte ich bald dar¬
auf ein altes Weib, die ich bey dem Widerscheine
der Flamme nicht ohne Schreck für dieselbe Zigeu¬
nerin wieder erkannte, die mir als Kind so fürch¬
terlich geweissagt hatte. Ich gieng zu ihr hin, sie
kannte mich nicht mehr. -- Von unserem letzten Zu¬
sammentreffen bey Rom wußte, oder mochte sie
nichts wissen. -- Ich reichte ihr noch einmal die
Hand hin. Sie betrachtete alle Linien sehr genau,
dann sah sie mir scharf in die Augen, und sagte,
während sie mit seltsamen Gebehrden nach allen

auflachen, was ſie über dieſe unerwartete Wendung
der Sache für Geſichter ſchnitten. Doch ſchien ihnen
das zu gefallen, ſie betrachteten mich als einen wür¬
digen Kumpan, und fuhrten mich freundſchaftlich
tiefer in den Wald hinein.

Wir kamen bald auf einen freyen, einſamen
Platz, wo bärtige Männer, Weiber und Kinder
um ein Feldfeuer herumlagen, und ich bemerkte nun
wohl, daß ich unter einen Zigeunerhaufen gerathen
war. Da wurde geſchlachtet, geſchunden, gekocht
und geſchmort, alle ſprachen und ſangen ihr Kau¬
derwelſch verworren durcheinander, dabey regnete
und ſtürmte es immerfort; es war eine wahre Wal¬
burgisnacht. Mir war recht kannibaliſch wohl. Ue¬
brigens war es, auſſer daß ſie alle ausgemachte
Spitzbuben waren, eine recht gute, unterhaltende
Geſellſchaft. Sie gaben mir zu eſſen, Brandtwein
zu trinken, tanzten, muſizirten und kümmerten ſich
um die ganze Welt nicht.

Mitten in dem Haufen bemerkte ich bald dar¬
auf ein altes Weib, die ich bey dem Widerſcheine
der Flamme nicht ohne Schreck für dieſelbe Zigeu¬
nerin wieder erkannte, die mir als Kind ſo fürch¬
terlich geweiſſagt hatte. Ich gieng zu ihr hin, ſie
kannte mich nicht mehr. — Von unſerem letzten Zu¬
ſammentreffen bey Rom wußte, oder mochte ſie
nichts wiſſen. — Ich reichte ihr noch einmal die
Hand hin. Sie betrachtete alle Linien ſehr genau,
dann ſah ſie mir ſcharf in die Augen, und ſagte,
während ſie mit ſeltſamen Gebehrden nach allen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0440" n="434"/>
auflachen, was &#x017F;ie über die&#x017F;e unerwartete Wendung<lb/>
der Sache für Ge&#x017F;ichter &#x017F;chnitten. Doch &#x017F;chien ihnen<lb/>
das zu gefallen, &#x017F;ie betrachteten mich als einen wür¬<lb/>
digen Kumpan, und fuhrten mich freund&#x017F;chaftlich<lb/>
tiefer in den Wald hinein.</p><lb/>
          <p>Wir kamen bald auf einen freyen, ein&#x017F;amen<lb/>
Platz, wo bärtige Männer, Weiber und Kinder<lb/>
um ein Feldfeuer herumlagen, und ich bemerkte nun<lb/>
wohl, daß ich unter einen Zigeunerhaufen gerathen<lb/>
war. Da wurde ge&#x017F;chlachtet, ge&#x017F;chunden, gekocht<lb/>
und ge&#x017F;chmort, alle &#x017F;prachen und &#x017F;angen ihr Kau¬<lb/>
derwel&#x017F;ch verworren durcheinander, dabey regnete<lb/>
und &#x017F;türmte es immerfort; es war eine wahre Wal¬<lb/>
burgisnacht. Mir war recht kannibali&#x017F;ch wohl. Ue¬<lb/>
brigens war es, au&#x017F;&#x017F;er daß &#x017F;ie alle ausgemachte<lb/>
Spitzbuben waren, eine recht gute, unterhaltende<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Sie gaben mir zu e&#x017F;&#x017F;en, Brandtwein<lb/>
zu trinken, tanzten, mu&#x017F;izirten und kümmerten &#x017F;ich<lb/>
um die ganze Welt nicht.</p><lb/>
          <p>Mitten in dem Haufen bemerkte ich bald dar¬<lb/>
auf ein altes Weib, die ich bey dem Wider&#x017F;cheine<lb/>
der Flamme nicht ohne Schreck für die&#x017F;elbe Zigeu¬<lb/>
nerin wieder erkannte, die mir als Kind &#x017F;o fürch¬<lb/>
terlich gewei&#x017F;&#x017F;agt hatte. Ich gieng zu ihr hin, &#x017F;ie<lb/>
kannte mich nicht mehr. &#x2014; Von un&#x017F;erem letzten Zu¬<lb/>
&#x017F;ammentreffen bey Rom wußte, oder mochte &#x017F;ie<lb/>
nichts wi&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Ich reichte ihr noch einmal die<lb/>
Hand hin. Sie betrachtete alle Linien &#x017F;ehr genau,<lb/>
dann &#x017F;ah &#x017F;ie mir &#x017F;charf in die Augen, und &#x017F;agte,<lb/>
während &#x017F;ie mit &#x017F;elt&#x017F;amen Gebehrden nach allen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0440] auflachen, was ſie über dieſe unerwartete Wendung der Sache für Geſichter ſchnitten. Doch ſchien ihnen das zu gefallen, ſie betrachteten mich als einen wür¬ digen Kumpan, und fuhrten mich freundſchaftlich tiefer in den Wald hinein. Wir kamen bald auf einen freyen, einſamen Platz, wo bärtige Männer, Weiber und Kinder um ein Feldfeuer herumlagen, und ich bemerkte nun wohl, daß ich unter einen Zigeunerhaufen gerathen war. Da wurde geſchlachtet, geſchunden, gekocht und geſchmort, alle ſprachen und ſangen ihr Kau¬ derwelſch verworren durcheinander, dabey regnete und ſtürmte es immerfort; es war eine wahre Wal¬ burgisnacht. Mir war recht kannibaliſch wohl. Ue¬ brigens war es, auſſer daß ſie alle ausgemachte Spitzbuben waren, eine recht gute, unterhaltende Geſellſchaft. Sie gaben mir zu eſſen, Brandtwein zu trinken, tanzten, muſizirten und kümmerten ſich um die ganze Welt nicht. Mitten in dem Haufen bemerkte ich bald dar¬ auf ein altes Weib, die ich bey dem Widerſcheine der Flamme nicht ohne Schreck für dieſelbe Zigeu¬ nerin wieder erkannte, die mir als Kind ſo fürch¬ terlich geweiſſagt hatte. Ich gieng zu ihr hin, ſie kannte mich nicht mehr. — Von unſerem letzten Zu¬ ſammentreffen bey Rom wußte, oder mochte ſie nichts wiſſen. — Ich reichte ihr noch einmal die Hand hin. Sie betrachtete alle Linien ſehr genau, dann ſah ſie mir ſcharf in die Augen, und ſagte, während ſie mit ſeltſamen Gebehrden nach allen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/440
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/440>, abgerufen am 23.11.2024.