Ich begab mich am Morgen zu der benannten Kirche und sah das Mädchen wirklich zur bestimm¬ ten Stunde mit einer ältlichen Frau, die ihre Ver¬ traute schien, schon von weitem die Strasse herauf¬ kommen. Ich erschrack fast vor Freuden, so über¬ aus schön war sie geworden. Als sie mich ebenfalls erblickte, wurde sie roth vor Schaam über die ver¬ gangene Nacht und schlug den Schleyer fest über das Gesicht. Auf dem Wege und in der Kirche er¬ zählte sie mir nun ungestört, daß sie schon lange wieder in Italien zurückseyen, daß ihr Vater, da ihre Mutter bey ihrer Geburt in Todesnoth war, das feyerliche Gelübde gethan, sie, Angelina, als Klosterjungfrau dem Himmel zu weihen, und daß der dazu bestimmte Tag nicht mehr fern sey. -- Das verliebte Mädchen sagte dieß mit Thränen in den Augen.
Wir kamen darauf noch oft, bald in der Kirche, bald in der Nacht am Balkone zusammen; der Tag, wo Angelina aus dem väterlichen Hause fort ins Kloster sollte, rückte immer näher heran, und wir verabredeten endlich mit einander zu entfliehen.
In der Nacht, die wir zur Flucht bestimmt hat¬ ten, trat sie, mit dem Nothwendigsten versehen und reichgeschmückt, wie eine Braut, hervor. Die hefti¬ ge Bewegung, in der ihr Gemüth war, machte ihr Gesicht wunderschön, und ich sehe sie in diesem Zu¬ stande und diesem Kleide noch wie heute vor mir stehen. Sie war noch in ihrem Leben nicht um die¬ se Zeit allein auf der Gasse gewesen, sie wurde da¬
Ich begab mich am Morgen zu der benannten Kirche und ſah das Mädchen wirklich zur beſtimm¬ ten Stunde mit einer ältlichen Frau, die ihre Ver¬ traute ſchien, ſchon von weitem die Straſſe herauf¬ kommen. Ich erſchrack faſt vor Freuden, ſo über¬ aus ſchön war ſie geworden. Als ſie mich ebenfalls erblickte, wurde ſie roth vor Schaam über die ver¬ gangene Nacht und ſchlug den Schleyer feſt über das Geſicht. Auf dem Wege und in der Kirche er¬ zählte ſie mir nun ungeſtört, daß ſie ſchon lange wieder in Italien zurückſeyen, daß ihr Vater, da ihre Mutter bey ihrer Geburt in Todesnoth war, das feyerliche Gelübde gethan, ſie, Angelina, als Kloſterjungfrau dem Himmel zu weihen, und daß der dazu beſtimmte Tag nicht mehr fern ſey. — Das verliebte Mädchen ſagte dieß mit Thränen in den Augen.
Wir kamen darauf noch oft, bald in der Kirche, bald in der Nacht am Balkone zuſammen; der Tag, wo Angelina aus dem väterlichen Hauſe fort ins Kloſter ſollte, rückte immer näher heran, und wir verabredeten endlich mit einander zu entfliehen.
In der Nacht, die wir zur Flucht beſtimmt hat¬ ten, trat ſie, mit dem Nothwendigſten verſehen und reichgeſchmückt, wie eine Braut, hervor. Die hefti¬ ge Bewegung, in der ihr Gemüth war, machte ihr Geſicht wunderſchön, und ich ſehe ſie in dieſem Zu¬ ſtande und dieſem Kleide noch wie heute vor mir ſtehen. Sie war noch in ihrem Leben nicht um die¬ ſe Zeit allein auf der Gaſſe geweſen, ſie wurde da¬
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Ich begab mich am Morgen zu der benannten
Kirche und ſah das Mädchen wirklich zur beſtimm¬
ten Stunde mit einer ältlichen Frau, die ihre Ver¬
traute ſchien, ſchon von weitem die Straſſe herauf¬
kommen. Ich erſchrack faſt vor Freuden, ſo über¬
aus ſchön war ſie geworden. Als ſie mich ebenfalls
erblickte, wurde ſie roth vor Schaam über die ver¬
gangene Nacht und ſchlug den Schleyer feſt über
das Geſicht. Auf dem Wege und in der Kirche er¬
zählte ſie mir nun ungeſtört, daß ſie ſchon lange
wieder in Italien zurückſeyen, daß ihr Vater, da
ihre Mutter bey ihrer Geburt in Todesnoth war,
das feyerliche Gelübde gethan, ſie, Angelina, als
Kloſterjungfrau dem Himmel zu weihen, und daß
der dazu beſtimmte Tag nicht mehr fern ſey. —
Das verliebte Mädchen ſagte dieß mit Thränen in
den Augen.
Wir kamen darauf noch oft, bald in der Kirche,
bald in der Nacht am Balkone zuſammen; der
Tag, wo Angelina aus dem väterlichen Hauſe fort
ins Kloſter ſollte, rückte immer näher heran, und
wir verabredeten endlich mit einander zu entfliehen.
In der Nacht, die wir zur Flucht beſtimmt hat¬
ten, trat ſie, mit dem Nothwendigſten verſehen und
reichgeſchmückt, wie eine Braut, hervor. Die hefti¬
ge Bewegung, in der ihr Gemüth war, machte ihr
Geſicht wunderſchön, und ich ſehe ſie in dieſem Zu¬
ſtande und dieſem Kleide noch wie heute vor mir
ſtehen. Sie war noch in ihrem Leben nicht um die¬
ſe Zeit allein auf der Gaſſe geweſen, ſie wurde da¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/431>, abgerufen am 23.11.2024.
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