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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬
zen waren immer besser als die Gemählde, weil
ihre Ausführung meistens unmöglich war. Gar oft
in guten Stunden ist mir wohl eine solche Glorie
von niegesehenen Farben und unbeschreiblich himm¬
lischer Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum
zu fassen wußte. Aber dann war's auch wieder
aus, und ich konnte sie niemals ausdrücken. -- So
schmückt sich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren
Kerker mit Künsten aus, ohne deßwegen zum
Künstler berufen zu seyn. Und überhaupt ist es am
Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder
würdet ihr den nicht für thöricht halten, der sich
im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬
ren wollte? Und wir machen soviel Umstände mit
dem Leben und wissen nicht, ob wir noch eine
Stunde bleiben!

An einem schönen Sommerabende fuhr ich ein¬
mal in Venedig auf dem Golf spazieren. Der
Halbkreis von Pallästen mit ihren stillerleuchteten
Fenstern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬
lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das
ruhige Wasser, Guitarren und tausend weiche Ge¬
sänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll
Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach
die Lieder verhallten und alles um mich her still und
einsam geworden war. Ich dachte an die ferne
Heimath und sang ein altes deutsches Lied, eines
von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt
hatte. Wie sehr erstaunte ich, als mir da auf ein¬

lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬
zen waren immer beſſer als die Gemählde, weil
ihre Ausführung meiſtens unmöglich war. Gar oft
in guten Stunden iſt mir wohl eine ſolche Glorie
von niegeſehenen Farben und unbeſchreiblich himm¬
liſcher Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum
zu faſſen wußte. Aber dann war's auch wieder
aus, und ich konnte ſie niemals ausdrücken. — So
ſchmückt ſich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren
Kerker mit Künſten aus, ohne deßwegen zum
Künſtler berufen zu ſeyn. Und überhaupt iſt es am
Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder
würdet ihr den nicht für thöricht halten, der ſich
im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬
ren wollte? Und wir machen ſoviel Umſtände mit
dem Leben und wiſſen nicht, ob wir noch eine
Stunde bleiben!

An einem ſchönen Sommerabende fuhr ich ein¬
mal in Venedig auf dem Golf ſpazieren. Der
Halbkreis von Palläſten mit ihren ſtillerleuchteten
Fenſtern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬
lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das
ruhige Waſſer, Guitarren und tauſend weiche Ge¬
ſänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll
Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach
die Lieder verhallten und alles um mich her ſtill und
einſam geworden war. Ich dachte an die ferne
Heimath und ſang ein altes deutſches Lied, eines
von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt
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[423/0429] lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬ zen waren immer beſſer als die Gemählde, weil ihre Ausführung meiſtens unmöglich war. Gar oft in guten Stunden iſt mir wohl eine ſolche Glorie von niegeſehenen Farben und unbeſchreiblich himm¬ liſcher Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum zu faſſen wußte. Aber dann war's auch wieder aus, und ich konnte ſie niemals ausdrücken. — So ſchmückt ſich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren Kerker mit Künſten aus, ohne deßwegen zum Künſtler berufen zu ſeyn. Und überhaupt iſt es am Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder würdet ihr den nicht für thöricht halten, der ſich im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬ ren wollte? Und wir machen ſoviel Umſtände mit dem Leben und wiſſen nicht, ob wir noch eine Stunde bleiben! An einem ſchönen Sommerabende fuhr ich ein¬ mal in Venedig auf dem Golf ſpazieren. Der Halbkreis von Palläſten mit ihren ſtillerleuchteten Fenſtern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬ lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das ruhige Waſſer, Guitarren und tauſend weiche Ge¬ ſänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach die Lieder verhallten und alles um mich her ſtill und einſam geworden war. Ich dachte an die ferne Heimath und ſang ein altes deutſches Lied, eines von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt hatte. Wie ſehr erſtaunte ich, als mir da auf ein¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/429>, abgerufen am 23.11.2024.