Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬ de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬ deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu stillen, wor¬ auf sie ihn näher an sein Schloß führten.
Als er sich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬ te, und die Gemüther beruhigt waren, äusserte Friedrich seine Verwunderung, wie er so einsam in dieser Gesellschaft aushalten könne.
Und was ist es denn mehr und anders, sagte Rudolph, als in der anderen gescheiden Welt? Da steht auch jeder mit seinen besonderen, eignen Empfindungen, Gedanken, Ansichten und Wünschen neben dem anderen wieder mit seinem besonderen Wesen, und, wie sie sich auch, gleichwie mit Po¬ lypenarmen, künstlich betasten und einander recht aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß ja doch am Ende keiner, was er selber ist oder was der andere eigentlich meynt und haben will, und so muß jeder dem anderen verrückt seyn, wenn es übri¬ gens Narren sind, die überhaupt noch etwas meynen oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬ ten von Profession aber ist nur, daß sie dabey noch glücklich sind.
Bey diesen Worten erblickte er das vielerwähn¬ te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬ verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng schnell auf Friedrich'n zu. Woher hast du das? fragte er, und nahm das Bild zu sich. Er schien bewegt, als sie ihm erzählten, von wem sie es hatten, und daß Erwin gestorben sey, doch konnte man nicht unter¬
Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬ de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬ deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu ſtillen, wor¬ auf ſie ihn näher an ſein Schloß führten.
Als er ſich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬ te, und die Gemüther beruhigt waren, äuſſerte Friedrich ſeine Verwunderung, wie er ſo einſam in dieſer Geſellſchaft aushalten könne.
Und was iſt es denn mehr und anders, ſagte Rudolph, als in der anderen geſcheiden Welt? Da ſteht auch jeder mit ſeinen beſonderen, eignen Empfindungen, Gedanken, Anſichten und Wünſchen neben dem anderen wieder mit ſeinem beſonderen Weſen, und, wie ſie ſich auch, gleichwie mit Po¬ lypenarmen, künſtlich betaſten und einander recht aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß ja doch am Ende keiner, was er ſelber iſt oder was der andere eigentlich meynt und haben will, und ſo muß jeder dem anderen verrückt ſeyn, wenn es übri¬ gens Narren ſind, die überhaupt noch etwas meynen oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬ ten von Profeſſion aber iſt nur, daß ſie dabey noch glücklich ſind.
Bey dieſen Worten erblickte er das vielerwähn¬ te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬ verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng ſchnell auf Friedrich'n zu. Woher haſt du das? fragte er, und nahm das Bild zu ſich. Er ſchien bewegt, als ſie ihm erzählten, von wem ſie es hatten, und daß Erwin geſtorben ſey, doch konnte man nicht unter¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0420"n="414"/><p>Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬<lb/>
de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬<lb/>
deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu ſtillen, wor¬<lb/>
auf ſie ihn näher an ſein Schloß führten.</p><lb/><p>Als er ſich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬<lb/>
te, und die Gemüther beruhigt waren, äuſſerte<lb/>
Friedrich ſeine Verwunderung, wie er ſo einſam in<lb/>
dieſer Geſellſchaft aushalten könne.</p><lb/><p>Und was iſt es denn mehr und anders, ſagte<lb/>
Rudolph, als in der anderen geſcheiden Welt?<lb/>
Da ſteht auch jeder mit ſeinen beſonderen, eignen<lb/>
Empfindungen, Gedanken, Anſichten und Wünſchen<lb/>
neben dem anderen wieder mit ſeinem beſonderen<lb/>
Weſen, und, wie ſie ſich auch, gleichwie mit Po¬<lb/>
lypenarmen, künſtlich betaſten und einander recht<lb/>
aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß<lb/>
ja doch am Ende keiner, was er ſelber iſt oder was<lb/>
der andere eigentlich meynt und haben will, und ſo<lb/>
muß jeder dem anderen verrückt ſeyn, wenn es übri¬<lb/>
gens Narren ſind, die überhaupt noch etwas meynen<lb/>
oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬<lb/>
ten von Profeſſion aber iſt nur, daß ſie dabey noch<lb/>
glücklich ſind.</p><lb/><p>Bey dieſen Worten erblickte er das vielerwähn¬<lb/>
te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬<lb/>
verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng ſchnell<lb/>
auf Friedrich'n zu. Woher haſt du das? fragte er,<lb/>
und nahm das Bild zu ſich. Er ſchien bewegt, als<lb/>ſie ihm erzählten, von wem ſie es hatten, und daß<lb/>
Erwin geſtorben ſey, doch konnte man nicht unter¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[414/0420]
Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬
de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬
deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu ſtillen, wor¬
auf ſie ihn näher an ſein Schloß führten.
Als er ſich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬
te, und die Gemüther beruhigt waren, äuſſerte
Friedrich ſeine Verwunderung, wie er ſo einſam in
dieſer Geſellſchaft aushalten könne.
Und was iſt es denn mehr und anders, ſagte
Rudolph, als in der anderen geſcheiden Welt?
Da ſteht auch jeder mit ſeinen beſonderen, eignen
Empfindungen, Gedanken, Anſichten und Wünſchen
neben dem anderen wieder mit ſeinem beſonderen
Weſen, und, wie ſie ſich auch, gleichwie mit Po¬
lypenarmen, künſtlich betaſten und einander recht
aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß
ja doch am Ende keiner, was er ſelber iſt oder was
der andere eigentlich meynt und haben will, und ſo
muß jeder dem anderen verrückt ſeyn, wenn es übri¬
gens Narren ſind, die überhaupt noch etwas meynen
oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬
ten von Profeſſion aber iſt nur, daß ſie dabey noch
glücklich ſind.
Bey dieſen Worten erblickte er das vielerwähn¬
te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬
verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng ſchnell
auf Friedrich'n zu. Woher haſt du das? fragte er,
und nahm das Bild zu ſich. Er ſchien bewegt, als
ſie ihm erzählten, von wem ſie es hatten, und daß
Erwin geſtorben ſey, doch konnte man nicht unter¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/420>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.