Unterdeß hatte sich der Ritter nachlässig in ei¬ nen Stuhl geworfen, zog eine Lorgnette unter dem Wamms hervor, betrachtete die beyden Grafen flüchtig und sagte, seine letzten Worte wohlgefällig wiederholend: "aber die Heyden gehen vorüber und schämen sich nicht" --. Recht gut gesagt, nicht wahr, recht gut? -- Beyde sahen ihn erstaunt an. -- Er lorgnirte sie von neuem. Aber ihr seyd doch recht einfältig, fuhr er darauf lachend fort, daß ihr das alles eigentlich so für baaren Ernst nehmt! Ihr seyd wohl noch niemals in Berlin ge¬ wesen? Seht, ich möchte wohl eigentlich ein Rit¬ ter seyn, aber, aufrichtig gesprochen, das ist doch im Grunde alles närrisches Zeug, welcher gescheide Mensch wird im Ernste an so etwas glauben! Ue¬ berdieß wäre es auch schrecklich langweilig, so stren¬ ge auf Tugend und Ehre zu halten. Ich versichere Euch aber, ich bin wohl eigentlich ein Ritter, aber ihr faßt das nur nicht, ihr anderen Leute, ich hal¬ te aus ganzer Seele gleichsam auf die alte Ehre, aber seht, das ist ganz anders zu verstehen -- das ist -- aber ihr versteht mich doch nicht -- das ist -- hiebey schien er verwirrt und zerstreut zu werden. Er zog sein Ritterwamms vom Leibe und erschien auf einmal in einem überaus modernen Neglig: vom feinsten, weißen Perkal, von dem er mit vie¬ ler Grazie hin und wieder die Staubfleckchen abzu¬ klopfen und wegzublasen bemüht war.
Nach einer Weile nahm er das Augenglas wieder vor und musterte die beyden Fremden, si[c]h
Unterdeß hatte ſich der Ritter nachläſſig in ei¬ nen Stuhl geworfen, zog eine Lorgnette unter dem Wamms hervor, betrachtete die beyden Grafen flüchtig und ſagte, ſeine letzten Worte wohlgefällig wiederholend: „aber die Heyden gehen vorüber und ſchämen ſich nicht“ —. Recht gut geſagt, nicht wahr, recht gut? — Beyde ſahen ihn erſtaunt an. — Er lorgnirte ſie von neuem. Aber ihr ſeyd doch recht einfältig, fuhr er darauf lachend fort, daß ihr das alles eigentlich ſo für baaren Ernſt nehmt! Ihr ſeyd wohl noch niemals in Berlin ge¬ weſen? Seht, ich möchte wohl eigentlich ein Rit¬ ter ſeyn, aber, aufrichtig geſprochen, das iſt doch im Grunde alles närriſches Zeug, welcher geſcheide Menſch wird im Ernſte an ſo etwas glauben! Ue¬ berdieß wäre es auch ſchrecklich langweilig, ſo ſtren¬ ge auf Tugend und Ehre zu halten. Ich verſichere Euch aber, ich bin wohl eigentlich ein Ritter, aber ihr faßt das nur nicht, ihr anderen Leute, ich hal¬ te aus ganzer Seele gleichſam auf die alte Ehre, aber ſeht, das iſt ganz anders zu verſtehen — das iſt — aber ihr verſteht mich doch nicht — das iſt — hiebey ſchien er verwirrt und zerſtreut zu werden. Er zog ſein Ritterwamms vom Leibe und erſchien auf einmal in einem überaus modernen Neglig: vom feinſten, weißen Perkal, von dem er mit vie¬ ler Grazie hin und wieder die Staubfleckchen abzu¬ klopfen und wegzublaſen bemüht war.
Nach einer Weile nahm er das Augenglas wieder vor und muſterte die beyden Fremden, ſi[c]h
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Unterdeß hatte ſich der Ritter nachläſſig in ei¬
nen Stuhl geworfen, zog eine Lorgnette unter dem
Wamms hervor, betrachtete die beyden Grafen
flüchtig und ſagte, ſeine letzten Worte wohlgefällig
wiederholend: „aber die Heyden gehen vorüber
und ſchämen ſich nicht“ —. Recht gut geſagt,
nicht wahr, recht gut? — Beyde ſahen ihn erſtaunt
an. — Er lorgnirte ſie von neuem. Aber ihr ſeyd
doch recht einfältig, fuhr er darauf lachend fort,
daß ihr das alles eigentlich ſo für baaren Ernſt
nehmt! Ihr ſeyd wohl noch niemals in Berlin ge¬
weſen? Seht, ich möchte wohl eigentlich ein Rit¬
ter ſeyn, aber, aufrichtig geſprochen, das iſt doch
im Grunde alles närriſches Zeug, welcher geſcheide
Menſch wird im Ernſte an ſo etwas glauben! Ue¬
berdieß wäre es auch ſchrecklich langweilig, ſo ſtren¬
ge auf Tugend und Ehre zu halten. Ich verſichere
Euch aber, ich bin wohl eigentlich ein Ritter, aber
ihr faßt das nur nicht, ihr anderen Leute, ich hal¬
te aus ganzer Seele gleichſam auf die alte Ehre,
aber ſeht, das iſt ganz anders zu verſtehen — das
iſt — aber ihr verſteht mich doch nicht — das iſt —
hiebey ſchien er verwirrt und zerſtreut zu werden.
Er zog ſein Ritterwamms vom Leibe und erſchien
auf einmal in einem überaus modernen Neglig:
vom feinſten, weißen Perkal, von dem er mit vie¬
ler Grazie hin und wieder die Staubfleckchen abzu¬
klopfen und wegzublaſen bemüht war.
Nach einer Weile nahm er das Augenglas
wieder vor und muſterte die beyden Fremden, ſich
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/405>, abgerufen am 23.11.2024.
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