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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Mitte sich ein großer Baum über einem steinernen
Springbrunnen wölbte.

Das erste, das ihnen dort auffiel, war ein
seltsamer Mensch, mit einem langen, breiten Talar
über den Achseln, einer Art von Krone, die etwas
schief auf dem Kopfe saß, und einem langen Hir¬
tenstabe in der Hand. Er näherte sich ihnen ein
wenig, kehrte sich dann stolz wieder um und gieng
mit einem feyerlich abgemessenen Schwebetritt lang¬
sam über den Hof, wobey der breite Mantel, wie
der Schweif eines sich aufblähenden kalekuttischen
Hahnes, hinter ihm dreinrauschte. Ein alter Mann
war unterdeß heruntergekommen, und sagte den
beyden Gästen, sein Graf sey nicht zu Hause, bat
sie aber abzusteigen. Sie hatten die Augen noch
auf jene vorüberschwebende Figur gerichtet, und
fragten erstaunt, was das zu bedeuten habe? Er
sucht den Karfunkelstein, sagte der Alte trocken und
führte ihre Pferde ab.

Ein junger Mensch, der sich inzwischen mit ei¬
nem Lichte eingefunden hatte, bat sie, ihm zu fol¬
gen, und führte sie stillschweigend über verschiedene
Wendeltreppen und einen langen Bogengang in ein
großes, gothischgewölbtes Gemach mit zwey Him¬
melbetten, ein Paar großen, altmodischen Stühlen
und einem ungeheueren runden Tische in der Mitte.
Sie bemerkten mit Verwunderung, daß er ein le¬
dernes Reiterwamms trug und seine ganze Tracht
überhaupt altdeutsch sey. Seine blonden Haare hat¬

Mitte ſich ein großer Baum über einem ſteinernen
Springbrunnen wölbte.

Das erſte, das ihnen dort auffiel, war ein
ſeltſamer Menſch, mit einem langen, breiten Talar
über den Achſeln, einer Art von Krone, die etwas
ſchief auf dem Kopfe ſaß, und einem langen Hir¬
tenſtabe in der Hand. Er näherte ſich ihnen ein
wenig, kehrte ſich dann ſtolz wieder um und gieng
mit einem feyerlich abgemeſſenen Schwebetritt lang¬
ſam über den Hof, wobey der breite Mantel, wie
der Schweif eines ſich aufblähenden kalekuttiſchen
Hahnes, hinter ihm dreinrauſchte. Ein alter Mann
war unterdeß heruntergekommen, und ſagte den
beyden Gäſten, ſein Graf ſey nicht zu Hauſe, bat
ſie aber abzuſteigen. Sie hatten die Augen noch
auf jene vorüberſchwebende Figur gerichtet, und
fragten erſtaunt, was das zu bedeuten habe? Er
ſucht den Karfunkelſtein, ſagte der Alte trocken und
führte ihre Pferde ab.

Ein junger Menſch, der ſich inzwiſchen mit ei¬
nem Lichte eingefunden hatte, bat ſie, ihm zu fol¬
gen, und führte ſie ſtillſchweigend über verſchiedene
Wendeltreppen und einen langen Bogengang in ein
großes, gothiſchgewölbtes Gemach mit zwey Him¬
melbetten, ein Paar großen, altmodiſchen Stühlen
und einem ungeheueren runden Tiſche in der Mitte.
Sie bemerkten mit Verwunderung, daß er ein le¬
dernes Reiterwamms trug und ſeine ganze Tracht
überhaupt altdeutſch ſey. Seine blonden Haare hat¬

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[397/0403] Mitte ſich ein großer Baum über einem ſteinernen Springbrunnen wölbte. Das erſte, das ihnen dort auffiel, war ein ſeltſamer Menſch, mit einem langen, breiten Talar über den Achſeln, einer Art von Krone, die etwas ſchief auf dem Kopfe ſaß, und einem langen Hir¬ tenſtabe in der Hand. Er näherte ſich ihnen ein wenig, kehrte ſich dann ſtolz wieder um und gieng mit einem feyerlich abgemeſſenen Schwebetritt lang¬ ſam über den Hof, wobey der breite Mantel, wie der Schweif eines ſich aufblähenden kalekuttiſchen Hahnes, hinter ihm dreinrauſchte. Ein alter Mann war unterdeß heruntergekommen, und ſagte den beyden Gäſten, ſein Graf ſey nicht zu Hauſe, bat ſie aber abzuſteigen. Sie hatten die Augen noch auf jene vorüberſchwebende Figur gerichtet, und fragten erſtaunt, was das zu bedeuten habe? Er ſucht den Karfunkelſtein, ſagte der Alte trocken und führte ihre Pferde ab. Ein junger Menſch, der ſich inzwiſchen mit ei¬ nem Lichte eingefunden hatte, bat ſie, ihm zu fol¬ gen, und führte ſie ſtillſchweigend über verſchiedene Wendeltreppen und einen langen Bogengang in ein großes, gothiſchgewölbtes Gemach mit zwey Him¬ melbetten, ein Paar großen, altmodiſchen Stühlen und einem ungeheueren runden Tiſche in der Mitte. Sie bemerkten mit Verwunderung, daß er ein le¬ dernes Reiterwamms trug und ſeine ganze Tracht überhaupt altdeutſch ſey. Seine blonden Haare hat¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/403>, abgerufen am 23.11.2024.