selber an, daß er ihre zerstörende, verhaltene Liebe zu ihm so schlecht belohnt, daß er sie bey größerer Achtsamkeit hätte schonen und retten können.
Während deß fieng jenseits über dem Walde der Morgen an zu dämmern und beleuchtete die seltsame Gruppe. Da kam plötzlich ein Bediente von dem Schlosse des Herrn v. A. angesprengt und brachte athemlos die Nachricht, daß ein feindlicher Offizier mit seinem Trupp in der Nähe herumstrei¬ fe, und ihnen, wie er eben von Bauern erfahren, auf der Spur sey. Die Bestürzung Aller über diese unerwartete Begebenheit war nicht gering. Leontin und Friedrich, die Ein Schicksal verfolgte, waren in diesem Augenblick noch ohne weiteren Plan; so viel war gewiß, daß Julie zum Vater zurückkehren, und das todte Mädchen mitnehmen mußte. Die Leiche wurde daher eiligst auf ein ledi¬ ges Handpferd gehoben. Dabey entdeckte Julie ein reichgefaßtes Medaillon, welches das Mädchen auf dem blossen Leibe hängen hatte und das sonst nie¬ mand jemals bey ihr bemerkt. Es war das Por¬ trait eines sehr schönen, etwa neunjährigen Mäd¬ chens. Sie nahm es ab und überreichte es Frie¬ drich'n.
Sein Gesicht veränderte sich, als er den ersten Blick darauf warf; denn es waren die Züge der kleinen Angelina, mit der er als Kind so oft im Garten gespielt, und welcher, wie es ihm nun ganz klar wurde, das Kind Maria auf dem Heiligenbilde des verlassenen Gebirgsschlosses so auffallend ähnlich
ſelber an, daß er ihre zerſtörende, verhaltene Liebe zu ihm ſo ſchlecht belohnt, daß er ſie bey größerer Achtſamkeit hätte ſchonen und retten können.
Während deß fieng jenſeits über dem Walde der Morgen an zu dämmern und beleuchtete die ſeltſame Gruppe. Da kam plötzlich ein Bediente von dem Schloſſe des Herrn v. A. angeſprengt und brachte athemlos die Nachricht, daß ein feindlicher Offizier mit ſeinem Trupp in der Nähe herumſtrei¬ fe, und ihnen, wie er eben von Bauern erfahren, auf der Spur ſey. Die Beſtürzung Aller über dieſe unerwartete Begebenheit war nicht gering. Leontin und Friedrich, die Ein Schickſal verfolgte, waren in dieſem Augenblick noch ohne weiteren Plan; ſo viel war gewiß, daß Julie zum Vater zurückkehren, und das todte Mädchen mitnehmen mußte. Die Leiche wurde daher eiligſt auf ein ledi¬ ges Handpferd gehoben. Dabey entdeckte Julie ein reichgefaßtes Medaillon, welches das Mädchen auf dem bloſſen Leibe hängen hatte und das ſonſt nie¬ mand jemals bey ihr bemerkt. Es war das Por¬ trait eines ſehr ſchönen, etwa neunjährigen Mäd¬ chens. Sie nahm es ab und überreichte es Frie¬ drich'n.
Sein Geſicht veränderte ſich, als er den erſten Blick darauf warf; denn es waren die Züge der kleinen Angelina, mit der er als Kind ſo oft im Garten geſpielt, und welcher, wie es ihm nun ganz klar wurde, das Kind Maria auf dem Heiligenbilde des verlaſſenen Gebirgsſchloſſes ſo auffallend ähnlich
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ſelber an, daß er ihre zerſtörende, verhaltene Liebe
zu ihm ſo ſchlecht belohnt, daß er ſie bey größerer
Achtſamkeit hätte ſchonen und retten können.
Während deß fieng jenſeits über dem Walde
der Morgen an zu dämmern und beleuchtete die
ſeltſame Gruppe. Da kam plötzlich ein Bediente
von dem Schloſſe des Herrn v. A. angeſprengt und
brachte athemlos die Nachricht, daß ein feindlicher
Offizier mit ſeinem Trupp in der Nähe herumſtrei¬
fe, und ihnen, wie er eben von Bauern erfahren,
auf der Spur ſey. Die Beſtürzung Aller über
dieſe unerwartete Begebenheit war nicht gering.
Leontin und Friedrich, die Ein Schickſal verfolgte,
waren in dieſem Augenblick noch ohne weiteren
Plan; ſo viel war gewiß, daß Julie zum Vater
zurückkehren, und das todte Mädchen mitnehmen
mußte. Die Leiche wurde daher eiligſt auf ein ledi¬
ges Handpferd gehoben. Dabey entdeckte Julie ein
reichgefaßtes Medaillon, welches das Mädchen auf
dem bloſſen Leibe hängen hatte und das ſonſt nie¬
mand jemals bey ihr bemerkt. Es war das Por¬
trait eines ſehr ſchönen, etwa neunjährigen Mäd¬
chens. Sie nahm es ab und überreichte es Frie¬
drich'n.
Sein Geſicht veränderte ſich, als er den erſten
Blick darauf warf; denn es waren die Züge der
kleinen Angelina, mit der er als Kind ſo oft im
Garten geſpielt, und welcher, wie es ihm nun ganz
klar wurde, das Kind Maria auf dem Heiligenbilde
des verlaſſenen Gebirgsſchloſſes ſo auffallend ähnlich
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/386>, abgerufen am 23.11.2024.
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