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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht
zu stören, aber es war nur der einzige Weg und
der Unbekannte hatte ihn auch schon erblickt. Er
gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der
Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬
ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, sagte er
halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie selbst
Alexander der Große wären, so müßt' ich Sie für
jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen.
Friedrich verwunderte sich höchlichst über diesen
unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬
sellen sitzen, der sogleich wieder anfieng zu schrei¬
ben.

Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an
den ein lustiges Wäldchen von Laubholz stieß. An
dem Saume des Waldes stand ein Jägerhaus, das
ringsum mit Hirschgeweihen ausgeziert war. Auf
einer kleinen Wiese, welche vor dem Hause mitten
zwischen dem Walde lag, saß ein schönes, kaum
fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es
schien, so eben erlegtem Rehe, streichelte das todte
Thierchen und sang:

Wär' ich ein muntres Hirschlein schlank,
Wollt' ich im grünen Walde geh'n,
Spazieren geh'n bey Hörnerklang,
Nach meinem Liebsten mich umseh'n.

Ein junger Jäger, der seitwärts an einem
Baume gelehnt stand und ihren Gesang mit dem
Waldhorne begleitete, antwortete ihr sogleich nach
derselben Melodie:

Nach

fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht
zu ſtören, aber es war nur der einzige Weg und
der Unbekannte hatte ihn auch ſchon erblickt. Er
gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der
Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬
ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, ſagte er
halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie ſelbſt
Alexander der Große wären, ſo müßt' ich Sie für
jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen.
Friedrich verwunderte ſich höchlichſt über dieſen
unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬
ſellen ſitzen, der ſogleich wieder anfieng zu ſchrei¬
ben.

Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an
den ein luſtiges Wäldchen von Laubholz ſtieß. An
dem Saume des Waldes ſtand ein Jägerhaus, das
ringsum mit Hirſchgeweihen ausgeziert war. Auf
einer kleinen Wieſe, welche vor dem Hauſe mitten
zwiſchen dem Walde lag, ſaß ein ſchönes, kaum
fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es
ſchien, ſo eben erlegtem Rehe, ſtreichelte das todte
Thierchen und ſang:

Wär' ich ein muntres Hirſchlein ſchlank,
Wollt' ich im grünen Walde geh'n,
Spazieren geh'n bey Hörnerklang,
Nach meinem Liebſten mich umſeh'n.

Ein junger Jäger, der ſeitwärts an einem
Baume gelehnt ſtand und ihren Geſang mit dem
Waldhorne begleitete, antwortete ihr ſogleich nach
derſelben Melodie:

Nach
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[32/0038] fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht zu ſtören, aber es war nur der einzige Weg und der Unbekannte hatte ihn auch ſchon erblickt. Er gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬ ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, ſagte er halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie ſelbſt Alexander der Große wären, ſo müßt' ich Sie für jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen. Friedrich verwunderte ſich höchlichſt über dieſen unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬ ſellen ſitzen, der ſogleich wieder anfieng zu ſchrei¬ ben. Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an den ein luſtiges Wäldchen von Laubholz ſtieß. An dem Saume des Waldes ſtand ein Jägerhaus, das ringsum mit Hirſchgeweihen ausgeziert war. Auf einer kleinen Wieſe, welche vor dem Hauſe mitten zwiſchen dem Walde lag, ſaß ein ſchönes, kaum fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es ſchien, ſo eben erlegtem Rehe, ſtreichelte das todte Thierchen und ſang: Wär' ich ein muntres Hirſchlein ſchlank, Wollt' ich im grünen Walde geh'n, Spazieren geh'n bey Hörnerklang, Nach meinem Liebſten mich umſeh'n. Ein junger Jäger, der ſeitwärts an einem Baume gelehnt ſtand und ihren Geſang mit dem Waldhorne begleitete, antwortete ihr ſogleich nach derſelben Melodie: Nach

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/38>, abgerufen am 27.11.2024.