tungen der anfangs noch lebenden Tante veranla߬ ten, daß er binnen kurzer Zeit allgemein für Ju¬ liens Bräutigam gehalten wurde. Er war nach sei¬ ner Art verliebt in Julien, aber ein Mädchen im Ernste zu lieben oder gar zu heirathen, hielt er für lächerlich, denn -- er war zum Dichter beru¬ fen. Als nachher der Krieg ausbrach und das Ge¬ rücht mein Benehmen dabey auch bis dorthin trug, prieß er mit gränzenlosem Enthusiasmus, doch im¬ mer mit der vornehmen Miene eines eigenen, hö¬ heren Standpunktes, solche erzgediegene, Lebens¬ kräftige Naturen, ewig zusammenhaltende Granit¬ blöcke des Gemeinwesens u. s. w., aber selbst mit dreinschlagen konnt' er nicht, denn -- er war zum Dichter berufen. Uebrigens hat er ein ganz or¬ dinär sogenanntes gutes Herz. Daher ritt er, als mich allerhand widersprechende Gerüchte bald für todt, bald für verwundet ausgaben, aus Mitleid für Julien auf Kundschaft aus, und kehrte eben in jener Nacht, da ich ihm begegnete, mit der ge¬ wissen Bothschaft meines Lebens zurück, und Ju¬ liens: "Er lebt!" das mich damals so schnell vom Fenster und übern Zaun und aus dem Dorfe trieb, galt mir.
Erstaunt erfuhr Julie am Morgen von Viktor meinen schnellen Durchzug und bald nachher auch das Loos meiner Burg. Ohne Verwirrung im Schreck wie in der Freude, sattelte sie noch in der Nacht, wo sie die Nachricht erhalten, ihr Pferd, und ritt, ohne ihren Vater zu wecken, mit einem
tungen der anfangs noch lebenden Tante veranla߬ ten, daß er binnen kurzer Zeit allgemein für Ju¬ liens Bräutigam gehalten wurde. Er war nach ſei¬ ner Art verliebt in Julien, aber ein Mädchen im Ernſte zu lieben oder gar zu heirathen, hielt er für lächerlich, denn — er war zum Dichter beru¬ fen. Als nachher der Krieg ausbrach und das Ge¬ rücht mein Benehmen dabey auch bis dorthin trug, prieß er mit gränzenloſem Enthuſiasmus, doch im¬ mer mit der vornehmen Miene eines eigenen, hö¬ heren Standpunktes, ſolche erzgediegene, Lebens¬ kräftige Naturen, ewig zuſammenhaltende Granit¬ blöcke des Gemeinweſens u. ſ. w., aber ſelbſt mit dreinſchlagen konnt' er nicht, denn — er war zum Dichter berufen. Uebrigens hat er ein ganz or¬ dinär ſogenanntes gutes Herz. Daher ritt er, als mich allerhand widerſprechende Gerüchte bald für todt, bald für verwundet ausgaben, aus Mitleid für Julien auf Kundſchaft aus, und kehrte eben in jener Nacht, da ich ihm begegnete, mit der ge¬ wiſſen Bothſchaft meines Lebens zurück, und Ju¬ liens: „Er lebt!“ das mich damals ſo ſchnell vom Fenſter und übern Zaun und aus dem Dorfe trieb, galt mir.
Erſtaunt erfuhr Julie am Morgen von Viktor meinen ſchnellen Durchzug und bald nachher auch das Loos meiner Burg. Ohne Verwirrung im Schreck wie in der Freude, ſattelte ſie noch in der Nacht, wo ſie die Nachricht erhalten, ihr Pferd, und ritt, ohne ihren Vater zu wecken, mit einem
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tungen der anfangs noch lebenden Tante veranla߬
ten, daß er binnen kurzer Zeit allgemein für Ju¬
liens Bräutigam gehalten wurde. Er war nach ſei¬
ner Art verliebt in Julien, aber ein Mädchen im
Ernſte zu lieben oder gar zu heirathen, hielt er
für lächerlich, denn — er war zum Dichter beru¬
fen. Als nachher der Krieg ausbrach und das Ge¬
rücht mein Benehmen dabey auch bis dorthin trug,
prieß er mit gränzenloſem Enthuſiasmus, doch im¬
mer mit der vornehmen Miene eines eigenen, hö¬
heren Standpunktes, ſolche erzgediegene, Lebens¬
kräftige Naturen, ewig zuſammenhaltende Granit¬
blöcke des Gemeinweſens u. ſ. w., aber ſelbſt mit
dreinſchlagen konnt' er nicht, denn — er war zum
Dichter berufen. Uebrigens hat er ein ganz or¬
dinär ſogenanntes gutes Herz. Daher ritt er, als
mich allerhand widerſprechende Gerüchte bald für
todt, bald für verwundet ausgaben, aus Mitleid
für Julien auf Kundſchaft aus, und kehrte eben in
jener Nacht, da ich ihm begegnete, mit der ge¬
wiſſen Bothſchaft meines Lebens zurück, und Ju¬
liens: „Er lebt!“ das mich damals ſo ſchnell vom
Fenſter und übern Zaun und aus dem Dorfe trieb,
galt mir.
Erſtaunt erfuhr Julie am Morgen von Viktor
meinen ſchnellen Durchzug und bald nachher auch
das Loos meiner Burg. Ohne Verwirrung im
Schreck wie in der Freude, ſattelte ſie noch in der
Nacht, wo ſie die Nachricht erhalten, ihr Pferd,
und ritt, ohne ihren Vater zu wecken, mit einem
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/379>, abgerufen am 25.11.2024.
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