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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Feind bey seiner Verfolgung diesen Weg nehmen
und demselben an dieser vortheilhaften Höhe beson¬
ders viel gelegen seyn mußte. Wir wehrten uns
verzweifelt oder vielmehr tollkühn gegen die Ueber¬
macht. Die feindlichen Kugeln hatten mein Schloß
fürchterlich zerrissen, die Gesimse brannten, ein
Burgthor nach dem anderen stürzte in den Lohen
zusammen, alles war verlohren, und ich fiel der
letzte nieder. -- Als ich die Augen wieder auf¬
schlug, lag ich im Sonnenscheine in dem schönen
Garten des Herrn v. A. vor der großen Aussicht,
und Julie stand still neben mir. --

Hier hielt Leontin inne, denn Julie, die sich
schon einige Zeit mit ängstlicher Unruhe umgesehen
hatte, sagte ihm etwas ins Ohr, stand schnell auf
und gieng in den Wald hinein, worauf Leontin,
nachdem er ihr eine Weile nachgesehen, folgender¬
maßen wieder fortfuhr:

Es war mir wie im Traume, als ich so wie¬
der meinen ersten Blick in die Welt that, alles auf
einmal so stille um mich, und Julie neben mir, die
mich schweigend und ernsthaft betrachtete. Sie
sagte mir damals nichts, aber später erfuhr und
errieth ich Folgendes: Der moderne Junge, dem ich
damals in der Nacht auf dem Schlosse des Herrn
v. A. begegnet, war ein Edelmann aus der Nach¬
barschaft, der erst unlängst von Universitäten auf
seine Güter zurückgekehrt war. Seine fast täglichen
Besuche bey Julien, seine ungebundene Art mit ihr
umzugehen, und die voreilig geschwätzigen Andeu¬

Feind bey ſeiner Verfolgung dieſen Weg nehmen
und demſelben an dieſer vortheilhaften Höhe beſon¬
ders viel gelegen ſeyn mußte. Wir wehrten uns
verzweifelt oder vielmehr tollkühn gegen die Ueber¬
macht. Die feindlichen Kugeln hatten mein Schloß
fürchterlich zerriſſen, die Geſimſe brannten, ein
Burgthor nach dem anderen ſtürzte in den Lohen
zuſammen, alles war verlohren, und ich fiel der
letzte nieder. — Als ich die Augen wieder auf¬
ſchlug, lag ich im Sonnenſcheine in dem ſchönen
Garten des Herrn v. A. vor der großen Ausſicht,
und Julie ſtand ſtill neben mir. —

Hier hielt Leontin inne, denn Julie, die ſich
ſchon einige Zeit mit ängſtlicher Unruhe umgeſehen
hatte, ſagte ihm etwas ins Ohr, ſtand ſchnell auf
und gieng in den Wald hinein, worauf Leontin,
nachdem er ihr eine Weile nachgeſehen, folgender¬
maßen wieder fortfuhr:

Es war mir wie im Traume, als ich ſo wie¬
der meinen erſten Blick in die Welt that, alles auf
einmal ſo ſtille um mich, und Julie neben mir, die
mich ſchweigend und ernſthaft betrachtete. Sie
ſagte mir damals nichts, aber ſpäter erfuhr und
errieth ich Folgendes: Der moderne Junge, dem ich
damals in der Nacht auf dem Schloſſe des Herrn
v. A. begegnet, war ein Edelmann aus der Nach¬
barſchaft, der erſt unlängſt von Univerſitäten auf
ſeine Güter zurückgekehrt war. Seine faſt täglichen
Beſuche bey Julien, ſeine ungebundene Art mit ihr
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[372/0378] Feind bey ſeiner Verfolgung dieſen Weg nehmen und demſelben an dieſer vortheilhaften Höhe beſon¬ ders viel gelegen ſeyn mußte. Wir wehrten uns verzweifelt oder vielmehr tollkühn gegen die Ueber¬ macht. Die feindlichen Kugeln hatten mein Schloß fürchterlich zerriſſen, die Geſimſe brannten, ein Burgthor nach dem anderen ſtürzte in den Lohen zuſammen, alles war verlohren, und ich fiel der letzte nieder. — Als ich die Augen wieder auf¬ ſchlug, lag ich im Sonnenſcheine in dem ſchönen Garten des Herrn v. A. vor der großen Ausſicht, und Julie ſtand ſtill neben mir. — Hier hielt Leontin inne, denn Julie, die ſich ſchon einige Zeit mit ängſtlicher Unruhe umgeſehen hatte, ſagte ihm etwas ins Ohr, ſtand ſchnell auf und gieng in den Wald hinein, worauf Leontin, nachdem er ihr eine Weile nachgeſehen, folgender¬ maßen wieder fortfuhr: Es war mir wie im Traume, als ich ſo wie¬ der meinen erſten Blick in die Welt that, alles auf einmal ſo ſtille um mich, und Julie neben mir, die mich ſchweigend und ernſthaft betrachtete. Sie ſagte mir damals nichts, aber ſpäter erfuhr und errieth ich Folgendes: Der moderne Junge, dem ich damals in der Nacht auf dem Schloſſe des Herrn v. A. begegnet, war ein Edelmann aus der Nach¬ barſchaft, der erſt unlängſt von Univerſitäten auf ſeine Güter zurückgekehrt war. Seine faſt täglichen Beſuche bey Julien, ſeine ungebundene Art mit ihr umzugehen, und die voreilig geſchwätzigen Andeu¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/378>, abgerufen am 23.11.2024.