Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.Die Haare wild umgehangen, Von blutigen Tropfen naß,Zwey blutige Streiffen sich schlangen, Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß. Er grüßt' sie so fürchterlich heiter, Er heißt sie sein' liebliche Braut,Da kannt' sie mit Schaudern den Reiter, Fällt nieder auf ihre Knie. Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter, Auf die schneeweiße Brust hin;"Ach, wie ist das Sterben so bitter, Erbarm' dich, weil ich so jung noch bin!" -- Stumm blieb sein steinerner Wille, Es blitzte so rosenroth,Da wurd' es auf einmal stille Im Walde und Haus und Hof. -- Frühmorgens da lag so schaurig, Verfallen im Walde das Haus,Ein Waldvöglein sang so traurig, Flog fort über den See hinaus. Gegen das Ende ihres Gesanges hatte Julie Er
Die Haare wild umgehangen, Von blutigen Tropfen naß,Zwey blutige Streiffen ſich ſchlangen, Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß. Er grüßt' ſie ſo fürchterlich heiter, Er heißt ſie ſein' liebliche Braut,Da kannt' ſie mit Schaudern den Reiter, Fällt nieder auf ihre Knie. Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter, Auf die ſchneeweiße Bruſt hin;„Ach, wie iſt das Sterben ſo bitter, Erbarm' dich, weil ich ſo jung noch bin!“ — Stumm blieb ſein ſteinerner Wille, Es blitzte ſo roſenroth,Da wurd' es auf einmal ſtille Im Walde und Haus und Hof. — Frühmorgens da lag ſo ſchaurig, Verfallen im Walde das Haus,Ein Waldvöglein ſang ſo traurig, Flog fort über den See hinaus. Gegen das Ende ihres Geſanges hatte Julie Er
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0374" n="368"/> <lg n="11"> <l rendition="#et">Die Haare wild umgehangen,</l><lb/> <l>Von blutigen Tropfen naß,</l><lb/> <l>Zwey blutige Streiffen ſich ſchlangen,</l><lb/> <l>Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß.</l><lb/> </lg> <lg n="12"> <l rendition="#et">Er grüßt' ſie ſo fürchterlich heiter,</l><lb/> <l>Er heißt ſie ſein' liebliche Braut,</l><lb/> <l>Da kannt' ſie mit Schaudern den Reiter,</l><lb/> <l>Fällt nieder auf ihre Knie.</l><lb/> </lg> <lg n="13"> <l rendition="#et">Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter,</l><lb/> <l>Auf die ſchneeweiße Bruſt hin;</l><lb/> <l>„Ach, wie iſt das Sterben ſo bitter,</l><lb/> <l>Erbarm' dich, weil ich ſo jung noch bin!“ —</l><lb/> </lg> <lg n="14"> <l rendition="#et">Stumm blieb ſein ſteinerner Wille,</l><lb/> <l>Es blitzte ſo roſenroth,</l><lb/> <l>Da wurd' es auf einmal ſtille</l><lb/> <l>Im Walde und Haus und Hof. —</l><lb/> </lg> <lg n="15"> <l rendition="#et">Frühmorgens da lag ſo ſchaurig,</l><lb/> <l>Verfallen im Walde das Haus,</l><lb/> <l>Ein Waldvöglein ſang ſo traurig,</l><lb/> <l>Flog fort über den See hinaus.</l><lb/> </lg> </lg> <p>Gegen das Ende ihres Geſanges hatte Julie<lb/> von ohngefähr meinen Schatten bemerkt, den das<lb/> Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den<lb/> Garten warf. Sie ſah ſich ſtutzend um, und da ſie<lb/> nichts erblicken konnte, ſchloß ſie nachdenklich und<lb/> ſchweigend das Fenſter. In dieſem Augenblick<lb/> klopfte es d'rinn an die Stubenthür. Sie fuhr er¬<lb/> ſchrocken zuſammen und vom Fenſter auf. Ich blick¬<lb/> te noch einmal hinein und ſah jenen gehäßigen Rei¬<lb/> ter, dem ich vorhin begegnet, eilfertig eintreten.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Er<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [368/0374]
Die Haare wild umgehangen,
Von blutigen Tropfen naß,
Zwey blutige Streiffen ſich ſchlangen,
Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß.
Er grüßt' ſie ſo fürchterlich heiter,
Er heißt ſie ſein' liebliche Braut,
Da kannt' ſie mit Schaudern den Reiter,
Fällt nieder auf ihre Knie.
Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter,
Auf die ſchneeweiße Bruſt hin;
„Ach, wie iſt das Sterben ſo bitter,
Erbarm' dich, weil ich ſo jung noch bin!“ —
Stumm blieb ſein ſteinerner Wille,
Es blitzte ſo roſenroth,
Da wurd' es auf einmal ſtille
Im Walde und Haus und Hof. —
Frühmorgens da lag ſo ſchaurig,
Verfallen im Walde das Haus,
Ein Waldvöglein ſang ſo traurig,
Flog fort über den See hinaus.
Gegen das Ende ihres Geſanges hatte Julie
von ohngefähr meinen Schatten bemerkt, den das
Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den
Garten warf. Sie ſah ſich ſtutzend um, und da ſie
nichts erblicken konnte, ſchloß ſie nachdenklich und
ſchweigend das Fenſter. In dieſem Augenblick
klopfte es d'rinn an die Stubenthür. Sie fuhr er¬
ſchrocken zuſammen und vom Fenſter auf. Ich blick¬
te noch einmal hinein und ſah jenen gehäßigen Rei¬
ter, dem ich vorhin begegnet, eilfertig eintreten.
Er
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |