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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Es war inzwischen völlig Nacht geworden, als
ich das Dorf erreichte. Ich mochte nach jener Nach¬
richt nun niemanden aus dem Hause sprechen noch
sehen -- nur einen flüchtigen Streifzug durch den
alten, schuldlosen Garten wollt' ich machen, und so¬
gleich wieder fort.

Ich band mein Pferd an einem Baume an
und stieg übern Zaun in den Garten. Dort war
jeder Gang, jede Bank, ja, jedes Blumenbeet
noch immer auf dem alten Platze, so daß die See¬
le nach so viel inzwischen durchlebten Gedanken und
Veränderungen diesen gemüthlichen Stillstand kaum
fassen konnte. Der Sturm wüthete indeß noch im¬
mer heftig fort, und riß ein Heer von Wolken
nebst vielen verspäteten Abendvögeln, die kreischend
dazwischenruderten, in einer unabsehbaren Flucht
über den Garten hinaus, während unten die Bäu¬
me sich neigten und einzelne Nachtigallentöne aus
den Thälern durch den Wind heraufklagten; es war
eine rechte dunkelschwüle Gespensternacht.

Ein ungewöhnlich starkes Licht, das aus dem
einen Fenster in den Garten hinausschien, zog mich
zum Schlosse hin. Ich stellte mich grade vor das
Fenster und konnte das ganze Zimmer übersehen,
das von einem Kaminfeuer so hell erleuchtet wurde.
Der Herr v. A. saß in einem Lehnstuhle und las
Zeitungen, Julie saß am Kamine und sang, hatte
aber den Rücken gegen das Fenster gekehrt, so daß
ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Was sie sang,

Es war inzwiſchen völlig Nacht geworden, als
ich das Dorf erreichte. Ich mochte nach jener Nach¬
richt nun niemanden aus dem Hauſe ſprechen noch
ſehen — nur einen flüchtigen Streifzug durch den
alten, ſchuldloſen Garten wollt' ich machen, und ſo¬
gleich wieder fort.

Ich band mein Pferd an einem Baume an
und ſtieg übern Zaun in den Garten. Dort war
jeder Gang, jede Bank, ja, jedes Blumenbeet
noch immer auf dem alten Platze, ſo daß die See¬
le nach ſo viel inzwiſchen durchlebten Gedanken und
Veränderungen dieſen gemüthlichen Stillſtand kaum
faſſen konnte. Der Sturm wüthete indeß noch im¬
mer heftig fort, und riß ein Heer von Wolken
nebſt vielen verſpäteten Abendvögeln, die kreiſchend
dazwiſchenruderten, in einer unabſehbaren Flucht
über den Garten hinaus, während unten die Bäu¬
me ſich neigten und einzelne Nachtigallentöne aus
den Thälern durch den Wind heraufklagten; es war
eine rechte dunkelſchwüle Geſpenſternacht.

Ein ungewöhnlich ſtarkes Licht, das aus dem
einen Fenſter in den Garten hinausſchien, zog mich
zum Schloſſe hin. Ich ſtellte mich grade vor das
Fenſter und konnte das ganze Zimmer überſehen,
das von einem Kaminfeuer ſo hell erleuchtet wurde.
Der Herr v. A. ſaß in einem Lehnſtuhle und las
Zeitungen, Julie ſaß am Kamine und ſang, hatte
aber den Rücken gegen das Fenſter gekehrt, ſo daß
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[364/0370] Es war inzwiſchen völlig Nacht geworden, als ich das Dorf erreichte. Ich mochte nach jener Nach¬ richt nun niemanden aus dem Hauſe ſprechen noch ſehen — nur einen flüchtigen Streifzug durch den alten, ſchuldloſen Garten wollt' ich machen, und ſo¬ gleich wieder fort. Ich band mein Pferd an einem Baume an und ſtieg übern Zaun in den Garten. Dort war jeder Gang, jede Bank, ja, jedes Blumenbeet noch immer auf dem alten Platze, ſo daß die See¬ le nach ſo viel inzwiſchen durchlebten Gedanken und Veränderungen dieſen gemüthlichen Stillſtand kaum faſſen konnte. Der Sturm wüthete indeß noch im¬ mer heftig fort, und riß ein Heer von Wolken nebſt vielen verſpäteten Abendvögeln, die kreiſchend dazwiſchenruderten, in einer unabſehbaren Flucht über den Garten hinaus, während unten die Bäu¬ me ſich neigten und einzelne Nachtigallentöne aus den Thälern durch den Wind heraufklagten; es war eine rechte dunkelſchwüle Geſpenſternacht. Ein ungewöhnlich ſtarkes Licht, das aus dem einen Fenſter in den Garten hinausſchien, zog mich zum Schloſſe hin. Ich ſtellte mich grade vor das Fenſter und konnte das ganze Zimmer überſehen, das von einem Kaminfeuer ſo hell erleuchtet wurde. Der Herr v. A. ſaß in einem Lehnſtuhle und las Zeitungen, Julie ſaß am Kamine und ſang, hatte aber den Rücken gegen das Fenſter gekehrt, ſo daß ich ihr Geſicht nicht ſehen konnte. Was ſie ſang,

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/370>, abgerufen am 23.11.2024.