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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Als sie dann auf den erschossenen Offizier gestossen,
habe sie ihn schnell in die Arme genommen und den
Leichnam mit einer bewunderungswürdigen Kraft und
Geduld in das Gebirge hinaufgeschleppt. Zwey
Schützen, denen ihr Herumschleichen verdächtig wur¬
de, waren ihr bis zu diesem Felsen gefolgt, den
sie nun wie ihre Burg vertheidigte.

Als Friedrich näher kam, erkannte er in dem
wunderbaren Mädchen sogleich Marie, sie kam ihm
heute viel größer und schöner vor. Ihre langen,
schwarzen Locken waren auseinandergerollt, sie hieb
nach allen Seiten um sich, so daß keiner, ohne sie
zu verletzen, die steile Klippe ersteigen konnte. Als
sie Friedrich'n unter den fremden Männern erblick¬
te, ließ sie plötzlich den Degen fallen, sank auf die
Kniee und verbarg ihr Gesicht an der kalten Brust
ihres Geliebten. Die bärtigen Männer blieben er¬
staunt steh n. Ist in Dir eine solche Gewalt wahr¬
hafter Liebe, sagte Friedrich gerührt zu ihr, so
wende sie zu Gott, und Du wirst noch große Gna¬
de erfahren!

Die Umstände nöthigten indeß immer dringen¬
der zum Aufbruch. Friedrich ließ daher einen des
Weges kundigen Jäger bey Marien zurück, der sie
in Sicherheit bringen sollte. Das Mädchen richtete
sich halb auf und sah still dem Grafen nach; sie
aber zogen singend über die Berge weiter, über de¬
nen so eben die Sonne aufgieng.


Als ſie dann auf den erſchoſſenen Offizier geſtoſſen,
habe ſie ihn ſchnell in die Arme genommen und den
Leichnam mit einer bewunderungswürdigen Kraft und
Geduld in das Gebirge hinaufgeſchleppt. Zwey
Schützen, denen ihr Herumſchleichen verdächtig wur¬
de, waren ihr bis zu dieſem Felſen gefolgt, den
ſie nun wie ihre Burg vertheidigte.

Als Friedrich näher kam, erkannte er in dem
wunderbaren Mädchen ſogleich Marie, ſie kam ihm
heute viel größer und ſchöner vor. Ihre langen,
ſchwarzen Locken waren auseinandergerollt, ſie hieb
nach allen Seiten um ſich, ſo daß keiner, ohne ſie
zu verletzen, die ſteile Klippe erſteigen konnte. Als
ſie Friedrich'n unter den fremden Männern erblick¬
te, ließ ſie plötzlich den Degen fallen, ſank auf die
Kniee und verbarg ihr Geſicht an der kalten Bruſt
ihres Geliebten. Die bärtigen Männer blieben er¬
ſtaunt ſteh n. Iſt in Dir eine ſolche Gewalt wahr¬
hafter Liebe, ſagte Friedrich gerührt zu ihr, ſo
wende ſie zu Gott, und Du wirſt noch große Gna¬
de erfahren!

Die Umſtände nöthigten indeß immer dringen¬
der zum Aufbruch. Friedrich ließ daher einen des
Weges kundigen Jäger bey Marien zurück, der ſie
in Sicherheit bringen ſollte. Das Mädchen richtete
ſich halb auf und ſah ſtill dem Grafen nach; ſie
aber zogen ſingend über die Berge weiter, über de¬
nen ſo eben die Sonne aufgieng.


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[343/0349] Als ſie dann auf den erſchoſſenen Offizier geſtoſſen, habe ſie ihn ſchnell in die Arme genommen und den Leichnam mit einer bewunderungswürdigen Kraft und Geduld in das Gebirge hinaufgeſchleppt. Zwey Schützen, denen ihr Herumſchleichen verdächtig wur¬ de, waren ihr bis zu dieſem Felſen gefolgt, den ſie nun wie ihre Burg vertheidigte. Als Friedrich näher kam, erkannte er in dem wunderbaren Mädchen ſogleich Marie, ſie kam ihm heute viel größer und ſchöner vor. Ihre langen, ſchwarzen Locken waren auseinandergerollt, ſie hieb nach allen Seiten um ſich, ſo daß keiner, ohne ſie zu verletzen, die ſteile Klippe erſteigen konnte. Als ſie Friedrich'n unter den fremden Männern erblick¬ te, ließ ſie plötzlich den Degen fallen, ſank auf die Kniee und verbarg ihr Geſicht an der kalten Bruſt ihres Geliebten. Die bärtigen Männer blieben er¬ ſtaunt ſteh n. Iſt in Dir eine ſolche Gewalt wahr¬ hafter Liebe, ſagte Friedrich gerührt zu ihr, ſo wende ſie zu Gott, und Du wirſt noch große Gna¬ de erfahren! Die Umſtände nöthigten indeß immer dringen¬ der zum Aufbruch. Friedrich ließ daher einen des Weges kundigen Jäger bey Marien zurück, der ſie in Sicherheit bringen ſollte. Das Mädchen richtete ſich halb auf und ſah ſtill dem Grafen nach; ſie aber zogen ſingend über die Berge weiter, über de¬ nen ſo eben die Sonne aufgieng.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/349>, abgerufen am 23.11.2024.