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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Friedrich fand eine Thüre offen und gieng in
das Schloß. Er schritt durch mehrere leere Gänge
und Zimmer und kam zuletzt in eine Kapelle. Ein
einfacher Altar war dort aufgerichtet, mehrere alte
Heiligenbilder auf Holz hiengen an den Wänden
umher, auf dem Altare stand ein Kruzifix. Er
knieete vor dem Altar nieder und dankte Gott aus
Grund der Seele für den heutigen Tag. Darauf
stand er neugestärkt auf und fühlte die vielen
Wunden kaum, die er in dem Gefechte erhalten.
Er erinnerte sich nicht, daß ihm jemals in seinem
Leben so wohl gewesen. Es war das erstemal, daß
es ihm genügte, was er hier trieb und vorhatte.
Er war völlig überzeugt, daß er das Rechte wolle
und sein ganzes voriges Leben, was er sonst ein¬
zeln versucht, gestrebt und geübt hatte, kam ihm
nun nur wie eine lange Vorschule vor zu der siche¬
ren, klaren und großen Gesinnung, die jetzt sein
Thun und Denken regierte.

Er gieng nun durch das Schloß, wo fast alle
Thüren geöffnet waren. In dem einen Gemache
fand er ein altes Sopha. Er streckte sich darauf; aber
er konnte nicht schlafen, so müde er auch war.
Denn tausenderley Gedanken zogen wechselnd durch
seine Seele, während er dort von der einen Seite
durch die offene Thüre den Schloßhof übersah, wo
die Schützen um ein Feuer lagen, das die alten
Gemäuer seltsam beleuchtete, von der anderen Seite
durchs Fenster die Wolkenzüge über den stillen,

22 *

Friedrich fand eine Thüre offen und gieng in
das Schloß. Er ſchritt durch mehrere leere Gänge
und Zimmer und kam zuletzt in eine Kapelle. Ein
einfacher Altar war dort aufgerichtet, mehrere alte
Heiligenbilder auf Holz hiengen an den Wänden
umher, auf dem Altare ſtand ein Kruzifix. Er
knieete vor dem Altar nieder und dankte Gott aus
Grund der Seele für den heutigen Tag. Darauf
ſtand er neugeſtärkt auf und fühlte die vielen
Wunden kaum, die er in dem Gefechte erhalten.
Er erinnerte ſich nicht, daß ihm jemals in ſeinem
Leben ſo wohl geweſen. Es war das erſtemal, daß
es ihm genügte, was er hier trieb und vorhatte.
Er war völlig überzeugt, daß er das Rechte wolle
und ſein ganzes voriges Leben, was er ſonſt ein¬
zeln verſucht, geſtrebt und geübt hatte, kam ihm
nun nur wie eine lange Vorſchule vor zu der ſiche¬
ren, klaren und großen Geſinnung, die jetzt ſein
Thun und Denken regierte.

Er gieng nun durch das Schloß, wo faſt alle
Thüren geöffnet waren. In dem einen Gemache
fand er ein altes Sopha. Er ſtreckte ſich darauf; aber
er konnte nicht ſchlafen, ſo müde er auch war.
Denn tauſenderley Gedanken zogen wechſelnd durch
ſeine Seele, während er dort von der einen Seite
durch die offene Thüre den Schloßhof überſah, wo
die Schützen um ein Feuer lagen, das die alten
Gemäuer ſeltſam beleuchtete, von der anderen Seite
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[339/0345] Friedrich fand eine Thüre offen und gieng in das Schloß. Er ſchritt durch mehrere leere Gänge und Zimmer und kam zuletzt in eine Kapelle. Ein einfacher Altar war dort aufgerichtet, mehrere alte Heiligenbilder auf Holz hiengen an den Wänden umher, auf dem Altare ſtand ein Kruzifix. Er knieete vor dem Altar nieder und dankte Gott aus Grund der Seele für den heutigen Tag. Darauf ſtand er neugeſtärkt auf und fühlte die vielen Wunden kaum, die er in dem Gefechte erhalten. Er erinnerte ſich nicht, daß ihm jemals in ſeinem Leben ſo wohl geweſen. Es war das erſtemal, daß es ihm genügte, was er hier trieb und vorhatte. Er war völlig überzeugt, daß er das Rechte wolle und ſein ganzes voriges Leben, was er ſonſt ein¬ zeln verſucht, geſtrebt und geübt hatte, kam ihm nun nur wie eine lange Vorſchule vor zu der ſiche¬ ren, klaren und großen Geſinnung, die jetzt ſein Thun und Denken regierte. Er gieng nun durch das Schloß, wo faſt alle Thüren geöffnet waren. In dem einen Gemache fand er ein altes Sopha. Er ſtreckte ſich darauf; aber er konnte nicht ſchlafen, ſo müde er auch war. Denn tauſenderley Gedanken zogen wechſelnd durch ſeine Seele, während er dort von der einen Seite durch die offene Thüre den Schloßhof überſah, wo die Schützen um ein Feuer lagen, das die alten Gemäuer ſeltſam beleuchtete, von der anderen Seite durchs Fenſter die Wolkenzüge über den ſtillen, 22 *

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/345>, abgerufen am 23.11.2024.