flehen und sah den Grafen furchtsam an. Er hielt sie für ein verliebtes Ding. Geh, sagte er gut¬ müthig, geh schlafen, liebes Kind. Sie sah sich nach der Thüre um, dann wieder nach Frie¬ drich'n. Ach, Gott! sagte sie endlich, legte die Hand aufs Herz und gieng zaudernd fort. Frie¬ drich'n kam ihr Benehmen sehr sonderbar vor, denn es war ihm nicht entgangen, daß sie beym Hinaus¬ gehen an allen Gliedern zitterte.
Mitternacht war schon vorbey. Friedrich war überwacht und von den verschiedenen Begeg¬ nissen viel zu sehr aufgeregt, um schlafen zu kön¬ nen. Er setzte sich an's offene Fenster. Das Was¬ ser rauschte unten über ein Wehr. Der Mond blickte seltsam und unheimlich aus dunkeln Wolken, die schnell über den Himmel flogen. Er sang:
Er reitet Nachts auf einem braunen Roß,
Er reitet vorüber an manchem Schloß: Schlaf' droben, mein Kind, bis der Tag erscheint, Die finstre Nacht ist des Menschen Feind!
Er reitet vorüber an einem Teich,
Da stehet ein schönes Mädchen bleich Und singt, ihr Hemdlein flattert im Wind, Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind!
Er reitet vorüber an einem Fluß,
Da ruft ihm der Wassermann seinen Gruß, Taucht wieder unter dann mit Gesaus, Und stille wird's über dem kühlen Haus.
flehen und ſah den Grafen furchtſam an. Er hielt ſie für ein verliebtes Ding. Geh, ſagte er gut¬ müthig, geh ſchlafen, liebes Kind. Sie ſah ſich nach der Thüre um, dann wieder nach Frie¬ drich'n. Ach, Gott! ſagte ſie endlich, legte die Hand aufs Herz und gieng zaudernd fort. Frie¬ drich'n kam ihr Benehmen ſehr ſonderbar vor, denn es war ihm nicht entgangen, daß ſie beym Hinaus¬ gehen an allen Gliedern zitterte.
Mitternacht war ſchon vorbey. Friedrich war überwacht und von den verſchiedenen Begeg¬ niſſen viel zu ſehr aufgeregt, um ſchlafen zu kön¬ nen. Er ſetzte ſich an's offene Fenſter. Das Waſ¬ ſer rauſchte unten über ein Wehr. Der Mond blickte ſeltſam und unheimlich aus dunkeln Wolken, die ſchnell über den Himmel flogen. Er ſang:
Er reitet Nachts auf einem braunen Roß,
Er reitet vorüber an manchem Schloß: Schlaf' droben, mein Kind, bis der Tag erſcheint, Die finſtre Nacht iſt des Menſchen Feind!
Er reitet vorüber an einem Teich,
Da ſtehet ein ſchönes Mädchen bleich Und ſingt, ihr Hemdlein flattert im Wind, Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind!
Er reitet vorüber an einem Fluß,
Da ruft ihm der Waſſermann ſeinen Gruß, Taucht wieder unter dann mit Geſaus, Und ſtille wird's über dem kühlen Haus.
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flehen und ſah den Grafen furchtſam an. Er hielt
ſie für ein verliebtes Ding. Geh, ſagte er gut¬
müthig, geh ſchlafen, liebes Kind. Sie ſah ſich
nach der Thüre um, dann wieder nach Frie¬
drich'n. Ach, Gott! ſagte ſie endlich, legte die
Hand aufs Herz und gieng zaudernd fort. Frie¬
drich'n kam ihr Benehmen ſehr ſonderbar vor, denn
es war ihm nicht entgangen, daß ſie beym Hinaus¬
gehen an allen Gliedern zitterte.
Mitternacht war ſchon vorbey. Friedrich
war überwacht und von den verſchiedenen Begeg¬
niſſen viel zu ſehr aufgeregt, um ſchlafen zu kön¬
nen. Er ſetzte ſich an's offene Fenſter. Das Waſ¬
ſer rauſchte unten über ein Wehr. Der Mond
blickte ſeltſam und unheimlich aus dunkeln Wolken,
die ſchnell über den Himmel flogen. Er ſang:
Er reitet Nachts auf einem braunen Roß,
Er reitet vorüber an manchem Schloß:
Schlaf' droben, mein Kind, bis der Tag erſcheint,
Die finſtre Nacht iſt des Menſchen Feind!
Er reitet vorüber an einem Teich,
Da ſtehet ein ſchönes Mädchen bleich
Und ſingt, ihr Hemdlein flattert im Wind,
Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind!
Er reitet vorüber an einem Fluß,
Da ruft ihm der Waſſermann ſeinen Gruß,
Taucht wieder unter dann mit Geſaus,
Und ſtille wird's über dem kühlen Haus.
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/32>, abgerufen am 23.11.2024.
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