und erschlaffte die warme Jahrszeit. Der eine hatte eine schöne reiche Braut gefunden und rechne¬ te die gemeinsame Noth seiner Zeit gegen sein eig¬ nes einzelnes Glück zufrieden ab, seine Rolle war ausgespielt. Andere fiengen an auf öffentlichen Promenaden zu paradiren, zu spielen und zu lie¬ beln und wurden nach und nach kalt und beynahe ganz Geistlos. Mehrere rief der Sommer in ihre Heimath zurück. Aller Ernst war verwittert, und Friedrich stand fast allein. Mehr jedoch als diese Treulosigkeit Einzelner, auf die er doch nie gebaut, kränkte ihn die allgemeine Willenlosigkeit, von der er sich immer deutlicher überzeugen mußte. So bemerkte er, unter vielen anderen Zeichen der Zeit, oft an Einem Abend und in Einer Gesellschaft zwey Arten von Religionsnarren. Die einen prahlten da, daß sie das ganze Jahr nicht in die Kirche giengen, verspotteten freygeisterisch alles Heilige und hiengen auf alle Weise, die, Gott sey Dank, be¬ reits abgenutzte und schäbigte Paradedecke der Auf¬ klärung aus. Aber es war nicht wahr, denn sie schlichen heimlich vor Tagesanbruch, wenn der Kü¬ ster aufschloß, zum Hinterpförtchen in die Kirchen hinein und betheten fleissig. Die anderen fielen da¬ gegen gar waidlich über diese her, verfochten die Religion und begeisterten sich durch ihre eignen schönen Redensarten. Aber es war auch nicht wahr, denn sie giengen in keine Kirche und glaub¬ ten heimlich selber nicht, was sie sagten. Das war es, was Friedrich'n empörte, die überhandnehmen¬
und erſchlaffte die warme Jahrszeit. Der eine hatte eine ſchöne reiche Braut gefunden und rechne¬ te die gemeinſame Noth ſeiner Zeit gegen ſein eig¬ nes einzelnes Glück zufrieden ab, ſeine Rolle war ausgeſpielt. Andere fiengen an auf öffentlichen Promenaden zu paradiren, zu ſpielen und zu lie¬ beln und wurden nach und nach kalt und beynahe ganz Geiſtlos. Mehrere rief der Sommer in ihre Heimath zurück. Aller Ernſt war verwittert, und Friedrich ſtand faſt allein. Mehr jedoch als dieſe Treuloſigkeit Einzelner, auf die er doch nie gebaut, kränkte ihn die allgemeine Willenloſigkeit, von der er ſich immer deutlicher überzeugen mußte. So bemerkte er, unter vielen anderen Zeichen der Zeit, oft an Einem Abend und in Einer Geſellſchaft zwey Arten von Religionsnarren. Die einen prahlten da, daß ſie das ganze Jahr nicht in die Kirche giengen, verſpotteten freygeiſteriſch alles Heilige und hiengen auf alle Weiſe, die, Gott ſey Dank, be¬ reits abgenutzte und ſchäbigte Paradedecke der Auf¬ klärung aus. Aber es war nicht wahr, denn ſie ſchlichen heimlich vor Tagesanbruch, wenn der Kü¬ ſter aufſchloß, zum Hinterpförtchen in die Kirchen hinein und betheten fleiſſig. Die anderen fielen da¬ gegen gar waidlich über dieſe her, verfochten die Religion und begeiſterten ſich durch ihre eignen ſchönen Redensarten. Aber es war auch nicht wahr, denn ſie giengen in keine Kirche und glaub¬ ten heimlich ſelber nicht, was ſie ſagten. Das war es, was Friedrich'n empörte, die überhandnehmen¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0301"n="295"/>
und erſchlaffte die warme Jahrszeit. Der eine<lb/>
hatte eine ſchöne reiche Braut gefunden und rechne¬<lb/>
te die gemeinſame Noth ſeiner Zeit gegen ſein eig¬<lb/>
nes einzelnes Glück zufrieden ab, ſeine Rolle war<lb/>
ausgeſpielt. Andere fiengen an auf öffentlichen<lb/>
Promenaden zu paradiren, zu ſpielen und zu lie¬<lb/>
beln und wurden nach und nach kalt und beynahe<lb/>
ganz Geiſtlos. Mehrere rief der Sommer in ihre<lb/>
Heimath zurück. Aller Ernſt war verwittert, und<lb/>
Friedrich ſtand faſt allein. Mehr jedoch als dieſe<lb/>
Treuloſigkeit Einzelner, auf die er doch nie gebaut,<lb/>
kränkte ihn die <hirendition="#g">allgemeine</hi> Willenloſigkeit, von<lb/>
der er ſich immer deutlicher überzeugen mußte. So<lb/>
bemerkte er, unter vielen anderen Zeichen der Zeit,<lb/>
oft an Einem Abend und in Einer Geſellſchaft zwey<lb/>
Arten von Religionsnarren. Die einen prahlten<lb/>
da, daß ſie das ganze Jahr nicht in die Kirche<lb/>
giengen, verſpotteten freygeiſteriſch alles Heilige und<lb/>
hiengen auf alle Weiſe, die, Gott ſey Dank, be¬<lb/>
reits abgenutzte und ſchäbigte Paradedecke der Auf¬<lb/>
klärung aus. Aber es war nicht wahr, denn ſie<lb/>ſchlichen heimlich vor Tagesanbruch, wenn der Kü¬<lb/>ſter aufſchloß, zum Hinterpförtchen in die Kirchen<lb/>
hinein und betheten fleiſſig. Die anderen fielen da¬<lb/>
gegen gar waidlich über dieſe her, verfochten die<lb/>
Religion und begeiſterten ſich durch ihre eignen<lb/>ſchönen Redensarten. Aber es war auch nicht<lb/>
wahr, denn ſie giengen in keine Kirche und glaub¬<lb/>
ten heimlich ſelber nicht, was ſie ſagten. Das war<lb/>
es, was Friedrich'n empörte, die überhandnehmen¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[295/0301]
und erſchlaffte die warme Jahrszeit. Der eine
hatte eine ſchöne reiche Braut gefunden und rechne¬
te die gemeinſame Noth ſeiner Zeit gegen ſein eig¬
nes einzelnes Glück zufrieden ab, ſeine Rolle war
ausgeſpielt. Andere fiengen an auf öffentlichen
Promenaden zu paradiren, zu ſpielen und zu lie¬
beln und wurden nach und nach kalt und beynahe
ganz Geiſtlos. Mehrere rief der Sommer in ihre
Heimath zurück. Aller Ernſt war verwittert, und
Friedrich ſtand faſt allein. Mehr jedoch als dieſe
Treuloſigkeit Einzelner, auf die er doch nie gebaut,
kränkte ihn die allgemeine Willenloſigkeit, von
der er ſich immer deutlicher überzeugen mußte. So
bemerkte er, unter vielen anderen Zeichen der Zeit,
oft an Einem Abend und in Einer Geſellſchaft zwey
Arten von Religionsnarren. Die einen prahlten
da, daß ſie das ganze Jahr nicht in die Kirche
giengen, verſpotteten freygeiſteriſch alles Heilige und
hiengen auf alle Weiſe, die, Gott ſey Dank, be¬
reits abgenutzte und ſchäbigte Paradedecke der Auf¬
klärung aus. Aber es war nicht wahr, denn ſie
ſchlichen heimlich vor Tagesanbruch, wenn der Kü¬
ſter aufſchloß, zum Hinterpförtchen in die Kirchen
hinein und betheten fleiſſig. Die anderen fielen da¬
gegen gar waidlich über dieſe her, verfochten die
Religion und begeiſterten ſich durch ihre eignen
ſchönen Redensarten. Aber es war auch nicht
wahr, denn ſie giengen in keine Kirche und glaub¬
ten heimlich ſelber nicht, was ſie ſagten. Das war
es, was Friedrich'n empörte, die überhandnehmen¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/301>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.